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Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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ihre
Messer auch so gehalten hatte, genau so, und die Erinnerungen wurden deutlicher, als ich begann, die Messer an meinen Armen zu schärfen, alle zwölf.
    Die Funken stoben. Die Jungs liebten die Messer. Aber meine Mutter hatten sie noch mehr geliebt. Ich fragte mich unwillkürlich, welche Geheimnisse sie ihr wohl vorenthalten hatten, wenn überhaupt.
    Der Ledergurt war wie ein Schulterhalfter geformt. Ich legte ihn an. Er passte perfekt. Die Messer schmiegten sich an meine Rippen. Ich griff nach meiner Jacke, schob sie dann jedoch zur Seite und zog stattdessen die Jacke und die Handschuhe meiner Mutter an. Albern. Da ging ich zu weit. Aber ich fühlte mich so besser; das Leder war weich und glatt; jeder Kratzer war eine Narbe.
    Schließlich verstaute ich alles wieder in der Truhe, bis auf die Schachtel mit den Fotos. Ich stellte sie auf den Werktisch, für Grant. Nur für alle Fälle. Er hatte sie ja noch nie gesehen. Ich hatte sie niemals herausgeholt, weil ich keine Show daraus machen oder seine Reaktion hervorrufen wollte.
    Der runde Stein in meiner Hosentasche war warm. Ich klopfte darauf und blieb auf dem Weg hinaus vor dem Spiegel stehen.
    Edik hatte recht gehabt.
    Wirklich, ich sah so aus wie meine Mutter.
     
    In der Nähe des Coop’s gab es immer Taxis. Ich hielt eins an und fuhr ins Universitätsviertel, um den Mustang zu holen. Es war noch früh am Morgen, aber Seattle war bereits hellwach. Das schöne Wetter trieb die Menschen in Scharen hinaus. Alle trugen Shorts und T-Shirts und diese seltsamen klobigen Sandalen, die in diesem Teil von Nordamerika Mode zu sein schienen. Die Lufttemperatur betrug zwar nur fünfzehn Grad, aber nach
der Menge von nackter Haut zu urteilen, hätte es auch ein Sommermorgen in Arizona sein können. Diese armen sonnenhungrigen Mistkerle.
    Der Mustang stand noch da, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Ich schaltete das Radio ein: »Bohemian Rhapsodie«. Ich drehte die Lautstärke hoch, kurbelte die Fenster herunter und genoss die frische salzige Luft in meinen Lungen. Die Jungs schliefen tief auf meiner Haut. Sie träumten mein Leben, und auch das von anderen, von toten Frauen aus grauer Vorzeit. Sie waren mein einziges Versprechen auf Unsterblichkeit, verloren im Blut, in der Erinnerung.
    Die Kunstgalerie hatte geöffnet. An den Wänden klebte kein Blut. Es war nur eine Person anwesend, eine junge, hübsche Blondine in Jeans und Folklorebluse. Sie saß hinter einem kleinen Schreibtisch und stand auf, als ich hereinkam. »Sarai und Jack erwarten mich«, erklärte ich.
    »O ja«, antwortete sie. »Sie können hochgehen.«
    Ich blieb vor dem Gemälde des Einhorns stehen, das im Schlachtgetümmel gefangen war. Ich fand weder einen Namen noch ein Datum. »Das hat Sarai gemalt, richtig?«
    Die junge Frau nickte. »Aber es ist nicht zu verkaufen. Keines ihrer Bilder steht zum Verkauf.«
    »Dann dient diese Galerie also ausschließlich dazu, die Bilder auszustellen?« Ich konnte meinen Blick nicht von dem Gemälde losreißen. »Eigentlich wundert es mich, dass sie nicht berühmter ist.«
    »Und was bedeutet wohl einem Einhorn der Ruhm?« Sarai trat aus der Seitentür. Zwei dicke, silbergraue Zöpfe umrahmten ihr Gesicht, ihre Haut schien von innen heraus zu glühen. Ich konnte meinen Blick ebenso wenig von ihr abwenden wie von dem Gemälde. Sarai sah die junge Frau an. »Linn, Sie können sich für den Rest des Tages freinehmen. Ich schließe heute früh.«

    Kein Widerspruch, kein Zögern. Die Blondine lächelte mich an, schnappte sich ihre Handtasche und rannte fast zur Tür. Sarai schloss hinter ihr ab. Stille senkte sich über den Raum.
    »Danke, dass Sie wiedergekommen sind«, sagte sie. »Und ich danke Ihnen auch für Ihr Verständnis.«
    »Danken Sie mir lieber noch nicht«, antwortete ich. »Die Dinge geraten ein wenig außer Kontrolle. Ich hatte heute Morgen eine Begegnung mit einer Kreatur, einer nicht-menschlichen Kreatur, die Sie und Jack kennt. Sie meinte, Sie wären alte Freunde.«
    So etwas zu einem Fremden zu sagen, forderte geradezu heraus, für verrückt erklärt zu werden. Aber Sarai schwieg einfach nur nachdenklich. Ihrer Reaktion war nicht viel zu entnehmen. Dann drehte sie den Kopf ein Stück und blickte aus dem Fenster der Galerie auf die Straße. Das Gebäude lag in der Nähe des Pike Place Markets. Ich sah Ziegelgebäude und Blumenkübel. Der Himmel war blau, die Sonne zog weiße Balken über den sauberen Holzboden. Ich sah mich um. Der Blick des Einhorns im

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