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Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Kinder. Einen menschlichen Mann zu töten, bedeutet ihr gar nichts. Sie denkt nicht eine Sekunde darüber nach.«
    Ich musste mich setzen und hätte dabei fast einen Buchstapel umgeworfen, der am Rand des Tisches stand. Dann ließ ich den Kopf hängen. Die Steinscheibe in meiner Hand fühlte sich warm an. Ich betrachtete ihre konzentrischen Rillen: der eine Weg des Glaubens. Halt ihn durch bis zum Ende. Mach einen Schritt nach dem anderen. Mir schwindelte. Vielleicht kam der Schwindel aber auch von der kalten Angst, die in meinen Eingeweiden pochte: eine anschwellende, schreckliche, alles ertränkende Furcht. Mein ganzes Leben lang war ich darauf vorbereitet
worden, dass die Suppe überkochte, und nachdem genau das passiert war, wollte ich nur meine Hände ringen und Ich weiß nicht, was ich tun soll singen, wie ein religiöses Mantra, sozusagen. Ich hatte nicht den Schimmer einer Ahnung.
    Konzentriere dich! Kleine Schritte. Ein Schrittchen nach dem anderen. Du schaffst das. Behalte das Ziel im Auge. Was auch immer es sein mochte. Ich hatte die freie Auswahl.
    Und ganz oben auf der Liste stand Mamablut. Die alte Dämonenkönigin tat nichts ohne einen guten Grund. Sie war durch und durch berechnend, liebte Ränkeschmieden allerdings etwas zu sehr. Sie war eine gelangweilte kleine Königin, die nicht wollte, dass ich mit Jack und Sarai redete, den Freunden der Familie.
    »Was wissen Sie«, fragte ich gedehnt, »was ich nicht weiß?« Jack rutschte auf dem kleinen Schemel hin und her und hätte mit seinen Knien fast einen Bücherstapel umgeworfen. »Dinge von der Art, die Ihre Mutter Ihnen nicht erzählen konnte. Dinge, die Ihnen, wie sie hoffte, niemals zu Ohren kommen würden.«
    Sarais Knöchel waren immer noch weiß. »Sie hatte Angst um Sie. Oder vielmehr davor, was passieren könnte, wenn sich der Schleier lüftete.«
    Ich dachte an die herausgerissenen Seiten in ihrem Tagebuch. »Der Schleier hat sich gestern Nacht geöffnet. Ich bin dem begegnet, was hindurchgekommen ist. Diesem Dämon, von dem ich gesprochen habe. Und der Sie kennt.«
    Der alte Mann beugte sich auf dem Schemel vor und ließ die Bücher von seinem Schoß rutschen. »Erzählen Sie es uns.«
    Ich konnte ihm nicht ins Gesicht blicken. Es tat zu weh. Hier saß mir der Mann gegenüber, von dem ich wollte, dass er mein Großvater wäre, und er hatte gewusst, wo ich war. Er hatte es gewusst und mich nicht aufgesucht. Mir Dinge verheimlicht.
    Meine Mutter hatte ebenfalls Geheimnisse gehabt. »Sie … es … sah aus wie eine jüngere Version von mir. Sie trug sogar
dieselbe Kleidung, wie ich sie früher getragen habe. Es hat sich in Rauch aufgelöst, als ich versuchte, es aufzuhalten.« Ich sah Jack an. »Sie wussten es schon gestern Nacht, stimmt’s? Sie wussten ganz genau, was hier gewesen ist, als es kalt wurde.«
    Röte stieg ihm in die Wangen. Erneut schwappte der Tee über seine Tasse, ich streckte unwillkürlich die Hand aus und nahm ihm die Tasse ab. Er schien die Luft anzuhalten, als sich unsere Hände berührten, und seine Miene zeigte so viel Schmerz, dass ich am liebsten auf die Knie gefallen wäre und ihn gefragt hätte, ob er mein Großvater war. Aber er grub die Finger in seine Knie. »Ich habe es vermutet«, gab er zu. »Es wäre zwar nicht der erste derartige Besuch gewesen, den ich hatte, aber diese besondere Präsenz hatte … auch eine besondere Ausstrahlung. Sie war vertraut, könnte man sagen.«
    »Also kennen Sie diesen Dämon, der durch den Schleier gekommen ist.« Ich stellte die Teetasse ab, weil ich fürchtete, dass meine Hände ebenfalls zu zittern begännen. »Das Gefängnis wurde vor fast zehntausend Jahren konstruiert.«
    »Vor noch wesentlich längerer Zeit«, murmelte Sarai, aber Jack gebot ihr zu schweigen.
    »Zehntausend«, wiederholte ich entschieden. »Und wenn dieser Dämon innerhalb der letzten sechzig Jahre nicht nach Belieben hin und her spaziert ist, dann ist es doch verflucht unwahrscheinlich, dass Sie drei alte Freunde sein können.«
    »Es sei denn, wir wären ebenfalls so … alt«, erwiderte Jack resigniert.
    Scheiße! Ich trank seinen heißen Tee, stürzte die Flüssigkeit in einem Zug herunter. Beinahe wäre ich daran erstickt und hustete, während mir die Tränen in die Augen traten. Jack streckte die Hand aus, zögernd, verzichtete dann aber darauf, mir aufs Knie zu klopfen.

    Sarai sah ihn missbilligend an. »Für so etwas haben wir keine Zeit. Du weißt, was die kleine Häuterin will, Alter

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