Gefaehrtin Der Daemonen
zwar los, aber das Gefühl blieb.
Es nieselte immer noch. Wir schlängelten uns durch den Stau auf der First Street. Der Nieselregen schimmerte in den Scheinwerfern, und die Feuchtigkeit beruhigte meine heißen Wangen und meinen geröteten Hals. Es tat so gut. Ich wollte einfach nur im Regen stehen bleiben und die Augen schließen - und langsam und tief atmen. Ich wollte die Gewalt, die Geheimnisse und die Verantwortung vergessen. Ich war so furchtbar müde.
»Maxine.« Grant sagte meinen Namen ganz ruhig, und es war seltsam, ihn von seinen Lippen zu hören. Ich antwortete nicht, sondern wickelte stattdessen meine Jacke fester um mich. Ich hatte vergessen nachzusehen, ob man das Blut der alten Zombiefrau auf dem schwarzen Leder sehen konnte, aber auf der Straße war es dämmerig und wurde von Minute zu Minute noch dunkler. Ich glaubte nicht, dass irgendjemand etwas bemerkte.
Zwar versuchte ich, wachsam zu bleiben, vertraute aber darauf, dass die Jungs alles im Blick behielten. Darin waren sie
gut. Mussten sie auch sein, damit ich nachts, wenn mein Körper verletzlich war, sicher blieb. Ihr Schlaf war mein Panzer, ihre Freiheit meine Schwäche. Tag und Nacht. Vor diesem Muster hat meine Mutter mich gewarnt. Verstanden habe ich es aber erst, als ich es selbst erleben musste.
Ich blickte Grant an. Er beobachtete mich, beugte sich zu mir, und ich rührte mich nicht. »Ich kann diese dunklen Flecken auch sehen«, erklärte ich ihm. »Deshalb wusste ich, dass diese alte Frau und all die anderen um Sie herum besessen waren. Aber Sie haben gesagt, Sie könnten auch noch andere Dinge sehen. Farben. War das immer schon so bei Ihnen?«
»Ich glaube. Ich habe Farben - Auren - gesehen, seit ich klein war. Es hat mit Musik angefangen. Ich habe Klavier oder Flöte gespielt, und jede Note hatte ihre eigene Farbe. Das ist eine neurologische Veranlagung. Man nennt es auch Synästhesie. Wenn der eine Sinn gereizt wird, löst das auch in einem anderen eine Reaktion aus.«
»Nur dass es bei Ihnen noch einen Schritt weiter geht.«
»Meine Fähigkeit, Farben an Menschen zu erkennen, ist erst später dazugekommen, aber zunächst habe ich es für normal gehalten. Ich kannte es ja schon. Bis ich anfing, darüber zu reden. Das … führte dann zu Problemen.« Er zuckte mit den Schultern. »Wie gesagt, die alte Frau hatte eine düstere Aura. Ich sehe sie bei vielen Menschen.«
»Sie haben so etwas schon vorher gesehen?«
»Sie ist wie eine dunkle Krone«, erwiderte er ruhig. »Eine Krone auf dem Kopf eines Wesens, das nicht zu dem Menschen gehört.«
»Nein.« Ich dachte an die alte Frau, die auf der Straße gestorben war. »Sie gehören nicht dorthin.«
»Sie auch nicht.« Sein Blick glitt über mein Gesicht und meine Schultern. »Nichts für ungut.«
Ich könnte ihn fragen, wie meine Aura aussieht, womit er zweifellos auch rechnet, aber ich will es gar nicht wissen. »Und? Verurteilen Sie mich, Ex-Vater Cooperon? Verurteilen Sie mich wegen meiner Dämonen - oder schlimmer noch, weil ich nicht hierhin gehöre?«
»Wenn es eine Sünde wäre, nicht hierhin zu gehören, Maxine, dann würden wir alle in der Hölle schmoren.«
»Wieso glauben Sie, dass wir das nicht längst tun?« Ich dachte an die Geschichten meiner Mutter, die Märchen über unseren Ursprung, über die Welt, dieses süße Gefängnis. »Wieso glauben Sie, dass das, was uns zu Menschen macht, was uns auszeichnet , uns nicht auch zur Beute werden lässt? Wer sagt Ihnen denn, dass wir nicht schon verurteilt sind?«
Grant blieb stehen und sah mich so ernst an, dass ich mich fragte, ob ich einen Fehler gemacht hatte, ob ich ihn vielleicht verärgert hatte. Er beugte sich dicht zu mir. Regentropfen fielen von seinen Wimpern und glitzerten wie Diamanten im Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos. »Wenn wir bereits verurteilt sind, Maxine, gibt es keine Hoffnung. Dann gibt es keine Hoffnung auf irgendetwas, egal ob man an Gott oder den Himmel glaubt. Und wenn wir tatsächlich schon verurteilt worden sind, warum sollten wir dann in der Lage sein, uns zu verändern? Wieso sind wir überhaupt in der Lage zu wachsen?«
»Und wenn ebendiese Fähigkeit das Urteil wäre?« Ich trat näher zu ihm hin, schloss die Lücke zwischen uns. »Wenn uns die Fähigkeit zu hoffen und zu träumen, uns vom Guten oder Schlechten angezogen zu fühlen, so verletzlich macht, dass wir ohne Schutz nur hilflose Opfer wären? Die in die Selbstzerstörung gejagt würden? Dass unsere schwache
Weitere Kostenlose Bücher