Gefaehrtin Der Daemonen
aufrechtzuerhalten. Und ich hatte mir auch nicht vorstellen können, warum meine Vorfahren einen solchen Test erlaubten.
Jetzt verstand ich. Es gab Dämonen, denen sich selbst Mamablut nicht stellen mochte. Dämonen, die zu bekämpfen mir oblag.
Ich dachte an meine Mutter, die schwanger auf der Straße stand und sich mit einem Lächeln der Zombiekönigin stellte. Sie trug Geheimnisse in ihrem Herzen, damals und jetzt. Aber damit konnte ich leben. Selbst wenn ich niemals entdecken sollte, was sie vor mir verborgen hatte, und selbst wenn ich es herausfand und das Geheimnis furchterregend war, so wäre doch alles gut.
Ich würde vielleicht in Geheimnissen untergehen, aber eines wusste ich doch.
Meine Mutter hatte mich geliebt, komme, was da wolle.
Ich wurde geliebt.
Ich hatte das Gefühl, jahrelang gegangen zu sein. Ich maß die Zeit am Wachstum meiner Nägel und meines Haares. Sie logen nicht und verzerrten auch die Zeit nicht. Meine Nägel wurden länger, mein Haar wuchs weiter. Es war verfilzt und wild.
Mein Verstand veränderte sich ebenfalls. Wie es begann, das wusste ich nicht. Ich konnte es nicht einmal erraten. Aber wenn ich die Augen schloss, während ich ging, träumte ich.
Das waren Wachträume. Traumwandeleien. Schnelle Träume, schwarz-weiß, wie alte Filme, die vom Alter verfärbt und unscharf sind. Ich träumte Bruchstücke, Fragmente, sah Frauen im Mondlicht, so bleich wie Schnee, mit rabenschwarzem Haar, Stahl in den Händen, immer, Schwerter, Kriegerknoten im Haar, im Sonnenlicht, tätowiert … Ich flog mit ihnen, ich rannte, ihre Körper verschmolzen zu einem, zu dem einer Frau, die so groß war wie ein Gewittersturm, mit Augen wie das von Sternen übersäte Firmament, mit Wölfen im Gefolge.
In meinen Träumen jagte ich Echos. Ich rannte hinter flüchtigen, verrückten Wahrnehmungen her: Drachen, feucht von der Gischt des Ozeans, Männern mit Bögen und Hufen, langen, glatten Schweifen; Giganten, die in Bergströmen schlummerten; der Sphinx, rätselhaft, majestätisch, kauernd, flüsternd. Ich träumte von Monden; vom Krieg. Von Armeen, deren Atem ich auf meinem Rücken spürte, angeführt von gepanzerten Prinzen, die mich anflehten. Ich träumte von den Jungs, losgelassenen Höllenhunden, die die Erde unter ihren Krallen versengten, sie voller Wut vernichteten.
Ich träumte, wenn ich die Augen schloss. Meine Augen waren
immer geschlossen, und hier im Labyrinth überzogen Träume die Wände, Träume färbten meine Lider, und wenn ich ging, umringt und genährt von den Jungs, leidend unter Tagen oder Jahren des Hungers, verlor ich mich in blutigen Spuren, gefangen in den Adern der Pfade, denen ich folgte, zuerst wandelnd, dann tanzend, schließlich rennend.
Ich rannte. Ich rannte schnell, so leichtfüßig wie ein Schatten, und blieb nicht stehen. Ich lernte, auf die Jungs zu hören, lernte, selbst zum Dunkel und zum Stein zu werden, dick und rau von Alter. Ich vergaß, wie es war, zu gehen, ich vergaß es. Wenn ich stehen blieb, um aus Strömen zu trinken, schrie meine Haut mich an weiterzugehen, bis ich selbst schrie. Ich schrie.
Ich schrie.
Ich, Jägerin, am Boden! Jägerin, stirb nicht! Jägerin, geh weiter! Jägerin, lauf! Jägerin, gib nicht auf, niemals, niemals! Träume, Jägerin! Kämpfe, Jägerin! Vergiss dich nicht, Jägerin!
Erinnere dich, Jägerin!
Ich erinnerte mich an meine Mutter, wenn ich aus einem kalten Fluss trank, dessen gewaltiges Tosen von den Wänden widerhallte.
Etwas Kleines. In einem Hotelzimmer in einer Stadt, in dem alle Lichter gelöscht waren außer denen im Badezimmer. Dessen Tür geschlossen war, sodass nur ein kleiner Lichtstreifen am unteren Rand ins Zimmer fiel. Meine Mutter lag auf dem Bett neben meinem; die Jungs schlichen herum. Ihre flüsternde Stimme. Im Dunkeln gibt es Dinge, die in deinem Herzen erwachen; Dinge, von deren Existenz du nichts wusstest. Du musst dich vor dem hüten, was sich da regt; du musst wachsam sein.
Ich war wachsam, aber ich hatte doch nur die Dunkelheit und die Jungs. Manchmal hörte ich sie in meinem Kopf, nämlich so nah, dass ich mich fragte, ob sie mich wohl verlassen würden,
wenn die Sonne unterging, und ob ich die Trennung überstünde. Alles hatte so lange gedauert. Inzwischen waren wir uns nah. Wir waren geradezu eins.
Am Flussufer waren die Steine rund und weich, und das Wasser tief. Ich watete in die Strömung, einfach nur, um das Wasser zu spüren, um den Unterschied zwischen Wasser und Luft zu
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