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Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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genießen. Der Fluss strömte schnell, sein Tosen war ohrenbetäubend. Aus einer Laune heraus legte ich mich hinein. Das Wasser trug mich wie ein Kind in der Wiege davon, riss mich mit sich. Ich dachte nicht an die Konsequenzen, machte mir auch keine Sorgen, weil ich den Kontakt zum Ufer verlor. Der Fluss stahl mich - und ich lachte nur.
    Halt! , befahl eine Stimme in meinem Kopf. Maxine!
    Ich ignorierte die Stimme jedoch, schloss die Augen. Ich verlor mich in Träumen. Ich lebte an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit, weit entfernt von der Dunkelheit. Dort sah ich Grant, die Jungs. Meine Mutter war auch da, und dieser Ort war realer als das Wasser und meine Haut, selbst als mein schlagendes Herz, meine gefangene Seele. Ich träumte von Schwertern, schmeckte in meinem Traum die Klinge, die sich auf meiner Zunge kalt anfühlte. Sie war aus Tränen gefertigt.
    Meinen Tränen. Ich weinte.
    Ich öffnete die Augen und schloss sie nicht mehr.
    Das Wasser wurde unruhig, ich ging unter. Meine Lungen brannten, ich kam wieder hoch, keuchend. Fing an zu treten, zu paddeln, aber die Strömung war zu stark. Ich hasste es zu schwimmen. Ich hasste Boote. Ich erinnerte mich schwach daran, wusste nicht, was ich mir dabei gedacht hatte, einfach in den Fluss zu springen. Wie hatte ich vergessen können?
    Du hast den Verstand verloren , flüsterte die leise Stimme in meinem Kopf. Maxine.

    Ich ging erneut unter, als hielten mich Hände an den Knöcheln. Als ich versuchte, wieder hochzukommen, schlug mein Kopf an einen Felsen. Entsetzen durchströmte mich. Ich kämpfte, wurde mitgerissen, kratzte mit den Fingernägeln über den Felsen an meinem Gesicht. Meine Lungen schrien nach Luft. Ich schrie. Die Jungs rissen an meiner Haut, ich fühlte, wie sie sich verschoben, wie sie zogen und sich ausbreiteten, aber mit einer Brutalität, die ich noch nie empfunden hatte. Ich zuckte einmal zusammen, dachte, ich müsste ertrinken, aber dann ließ der Schmerz in meinen Lungen nach.
    Ich atmete. Ich befand mich unter Wasser und atmete. Es schmeckte wie Stein und Asche, vielleicht wie Blut. Ich war zu erleichtert, um darüber nachzudenken. Ich berührte mein Gesicht, versuchte zu verstehen. Und wünschte mir, ich hätte es nicht getan.
    Meine Nasenlöcher waren verschwunden. Ebenso mein Mund. Meine Augen und Ohren waren von Haut überzogen. Ich hatte kein Gesicht.
    Entsetzen schüttelte mich. Ekel, Bestürzung. Mir war übel. Ich hätte mich gern übergeben, wollte schreien, konnte es aber nicht. Ich riss an meiner Haut, an meinem Gesicht. Ich schrie lautlos die Jungs an, schlug mit den Fäusten gegen den Fels über meinem Kopf. Dann versuchte ich zu schwimmen, kam jedoch nicht zurück. Ich fand keinen Boden, keinen Sand.
    Der Stein drückte mich sehr lange unter Wasser. Länger als nur Tage oder Wochen. Viel länger. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Ich wurde wie eine Stoffpuppe von der Strömung mitgerissen, gesichtslos, lautlos, und obwohl ich durch die Jungs atmete, empfand ich nur Furcht. Ich hatte so große Angst. Ich war allein. In diesem Sarg aus Wasser war ich lebendig begraben, einem Sarkophag aus Fleisch, der sich rasend schnell bewegte.

    Ich war jetzt unsterblich. Ich würde für immer so sein. Für immer verloren. Begraben in Wasser, wahnsinnig vor Durst.
    Ich tobte.
    Als ich tobte, erwachte es.
     
    Ich spürte, wie es geschah: ein Prickeln in meinem Herzen. Es riss mich aus dem Wahnsinn, als wäre mein Hirn ein Gummiband, das bis zum Zerreißen gespannt worden war, bis die Spannung in einem Augenblick nachließ.
    Ich war noch immer in meinem Körper gefangen. Doch als ich jetzt in dem unterirdischen Fluss schwebte, waren Wasser und Dunkelheit ein Nest, kein Sarg. Eine Verschiebung der Wahrnehmung, eine so süße Empfindung. Mein Fleisch war ein Kokon. Ich versponn mich zu etwas Neuem, lauschte mir selbst. Den Herzschlägen, dem Klicken meiner Kiefer, dem Schwellen meiner Brust, wenn ich atmete. Ich lauschte tiefer, an Gedanken und Erinnerungen vorbei, noch tiefer, ins Blut hinein.
    Wir sind sie, diese Jagd, diese wilde, tobende Jagd, die das Wesen eines Zeitalters ausmacht, und vernichtet, auf dass andere wiedergeboren werden können. Worte, die von einem Gesicht begleitet wurden, an das ich mich kaum erinnerte: weißes Haar, blaue Augen, Macht, verborgen hinter runzliger Haut.
    Macht unter meiner Haut. Sie schlief im Dunkeln. Sie ruhte an meinen Knochen, tränkte die Muskeln, schwamm in meinem Blut. Ein anderer Körper

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