Gefaehrtin Der Daemonen
moosigen Lendenschurz und mit einem Geweih auf dem Kopf vor Augen, der Geister und Kobolde und Feen auf eine Geisterjagd durch die Wälder führte. Allerdings hatte ich mich nicht sonderlich darauf konzentriert. Hans Christian Andersen war eher mein Geschmack gewesen.
Aber ich war nervös und musste mich ablenken. Diese Bücher waren neu für mich, und in vielen steckten Zettel mit handgeschriebenen oder getippten Notizen. Ich überflog sie, wurde von den Worten angezogen, vor allem von einem Blatt, das Jack vermutlich selbst geschrieben hatte.
Wir sind sie, las ich, diese Jagd, diese wilde, tobende Jagd, die das Wesen eines Zeitalters ausmacht und vernichtet, auf dass andere wiedergeboren werden können.
Es gab noch mehr, aber in diesem Augenblick tauchte Jack mit zwei dampfenden Tassen auf dem Pfad zwischen den Papierund Bücherstapeln auf. »Ah, wie ich sehe, haben Sie geeignete Lektüre gefunden.«
»Das ist interessant.« Ich schloss das Buch über der Seite mit den Notizen. »Ich dachte, Sie wären nur ein Archäologe. Ich wusste nicht, dass Sie auch Brauchtum erforschen.«
»Ich interessiere mich für viele Disziplinen. Außerdem sind diese beiden Forschungszweige gar nicht so unterschiedlich. Es gäbe keine Städte, meine Liebe, ohne die Herzen, die sie schufen.«
Ich tippte auf das Buch. »Aber Märchen?«
»Träume und Vorzeichen«, erwiderte er und hielt mir eine
Tasse hin. Mir brannten Fragen auf der Zunge, aber ich hielt den Mund und legte das Buch umständlich zur Seite. Dann nahm ich die Tasse. Es war Tee. Dunkelrot schimmernder Tee, und ich nippte vorsichtig daran. Er schmeckte gut und süß.
»Jeannie nahm immer Zucker in ihren Tee«, bemerkte Jack. »Ich dachte, Sie hätten vielleicht einen ähnlichen Geschmack.«
»Es ist irgendwie merkwürdig für mich, Sie von ihr reden zu hören. Das Foto hat mich ziemlich geschockt.«
»Es ist eines meiner Lieblingsfotos.« Jack lehnte sich an den Tisch mir gegenüber und sah auf Zee hinab. »Unter der Spüle steht eine Werkzeugkiste, falls ihr hungrig seid.«
Rohw und Aaz sahen sich an, spitzten die Ohren und verschwanden im Schatten. Zee rührte sich nicht, sondern betrachtete den Mann so nachdenklich, dass ich nervös wurde. Ich hörte das Klappern von Metall. Dek und Mal zirpten leise. Ich hob die Hand und stupste sie an. Sie verschwanden von meinen Schultern, und ich kam mir plötzlich ganz nackt vor, da ich ihr Gewicht nicht mehr spürte.
»Meine Großmutter hat Ihnen vertraut«, sagte ich. Ebenso wie auch meine Mutter ihm vertraut haben musste. Ich hätte nur gern gewusst, warum sie seinen Namen niemals erwähnte und warum die Jungs sich wohl weigerten, über ihn zu sprechen, als ich ihnen das Foto in Badelts Büro gezeigt hatte.
Ich dachte an den Dämon. Oturu.
»Wir haben uns 1955 kennengelernt«, unterbrach Jack meine Gedanken. »Ich arbeitete eine Weile in Persien, wo ich gewisse Artefakte katalogisierte, Beweise für eine kulturelle Migration zwischen China und dem Mittleren Osten. Ich bin Jeannie auf dem Markt begegnet, zufällig. Sie kaufte gerade Trauben und regte sich über den Preis auf, der verlangt wurde.« Jack lächelte hinter seiner Teetasse. »Ich habe sie gerettet.«
Unwillkürlich hob ich die Hand vor den Mund, um mein Lächeln
zu verbergen, und biss mir auf die Unterlippe. »Was ist dann passiert?«
»Wir haben uns unterhalten. Wie sich herausstellte, hatte sie Zentralasien gründlich bereist und kannte einige archäologisch bedeutende Gebiete, die mir und anderen Außenseitern unbekannt waren. Sie bot mir an, mich dorthin zu führen. Gegen ein Entgelt, versteht sich. Diese Frau hatte eine Schwäche für Geld.«
»Und die Jungs? Wie haben Sie von ihnen erfahren?«
»Wir wurden angegriffen.« Jacks Blick richtete sich in die Ferne. »Wüstenbanditen. Einer von ihnen schoss auf mich. Er war zu nah, als dass er mich hätte verfehlen können. Jeannie … schirmte mich ab … mit ihrem Körper. Die Kugeln zerfetzten zwar ihre Kleidung, ansonsten aber blieb sie unversehrt. Was den Banditen Todesangst einflößte, das kann ich Ihnen versichern. Wir waren die Einzigen, die überlebten.« Er lächelte wieder, aber diesmal wirkte es nicht ganz so unbeschwert. »Den Rest hat sie mir erklärt. Sie hatte im Grunde keine Wahl.«
»Wie lange …« Meine Stimme versagte, und ich stärkte mich mit einem Schluck Tee. »Wie lange waren Sie zusammen?«
»Oh, viele Jahre.« Jack verstummte und blickte tief in seine Teetasse hinein.
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