Gefährtin Der Finsternis
Brautus, mit langem, grauem Bart. Seine Kleidung unter dem einfachen braunen Umhang war bunt wie die eines Hofnarren, purpurfarben und grün und mit Gold bestickt, und mindestens ein Dutzend verschiedene kleine Beutel und Börsen hingen um seinen Hals, um seine Schultern und an seinem Gürtel.
»Willkommen, Orlando«, antwortete sie ihm und machte einen Hofknicks.
»Orlando ist ein Zauberer, Lady Isabel«, erklärte Simon und lächelte wider Willen erneut. Sir Gabriels Tochter war freundlich. Sie begrüßte Orlando ebenso ernsthaft wie jeden adligen Gutsherrn und so zwanglos, als empfinge sie in ihrem Schloss jeden Tag kleine Männer. Aber er durfte sie niemals wieder berühren, es sei denn, er wollte sie töten. »Er kann Euch Geschichten erzählen, dass Euch die Haare zu Berge stehen.«
»Ja«, stimmte Orlando stirnrunzelnd zu. »Mir fällt besonders eine Geschichte ein, die gewisse Leute eher nicht hören wollen.« Er wandte sich wieder der Lady zu. »Aber wo ist Sir Gabriel, Mylady? Euer Vater, nehme ich an?«
»Ja«, sagte Isabel und blickte an ihm vorbei zu den Übrigen, die noch immer neugierig und ängstlich zusahen und abwarteten, um zu sehen, was sie tun würde. Sie empfand das Schloss ihres Vaters zum ersten Mal, seit sie sich erinnern konnte, als Last und wünschte, sie könnte einfach davonlaufen. Gestern noch, als sie so verängstigt gewesen war, hatte sie nicht gehen wollen. Sie hatte ihr Heim und diese Menschen beschützen wollen. Aber plötzlich wollte sie frei sein. Sie merkte, dass Simon sie auch beobachtete, und begegnete seinen braunen Augen mit ihrem Blick, und für einen seltsamen Moment schien es, als wüsste er genau, was sie dachte. Was wäre gewesen, wenn dieser Mann Michel gewesen wäre?, dachte sie. Was wäre gewesen, wenn er gekommen wäre, um Charmot für sich zu beanspruchen, und den Schwarzen Ritter besiegt hätte? Was wäre gewesen, wenn er sie gewollt hätte?
»Mein Vater ist tot«, sagte sie schroff, und schob damit ihre Phantasien beiseite. »Kommt herein, und erzählt mir von Euren Visionen, dann werde ich Euch von ihm erzählen.«
Sie führte sie in den Rittersaal des Schlosses, ein großer, gut beleuchteter Raum mit einem lodernden Feuer im Hauptkamin. Als Simon eintrat, wurde ihm erneut bewusst, wie lange er sich von den Lebenden ferngehalten hatte und wie einsam er gewesen war. Aber er wagte es nicht, zu lange bei diesen Vorstellungen zu verweilen. Auch jetzt konnte er das Pochen dieser lebendigen Herzen in seinen Ohren lauter werden hören, sein Vampirhunger war bereit, aufzusteigen und alle Vernunft hinwegzufegen. Ich hätte es niemals zulassen dürfen, dachte er, und sein Blick wanderte zu Isabels Gesicht. Ich hätte es niemals zulassen dürfen, dass sie mich berührt.
»Seid Ihr hungrig?«, fragte Isabel, und ihr neuentdeckter Cousin lachte, ein seltsames, hohles, bellendes Lachen. »Ist das lustig?«
»Nein, Mylady«, antwortete er, aber sein bitteres Lächeln strafte ihn Lügen. »Verzeiht.«
»Mein Herr fastet«, erklärte Orlando. »Das gehört zu seiner Buße.« Der Zwerg beobachtete mit sehnsüchtigen Augen, wie eine Dienstmagd eine Servierplatte mit Schweinebraten vorbeitrug.
»Aber mein Diener unterliegt keinem solchen Schwur«, stimmte Simon ihm zu. So schwierig ihr Exil von der Welt der Lebenden für ihn gewesen war, musste es für Orlando, der selbst noch immer ein Lebender war, gewiss noch schlimmer sein.
»Ihr esst überhaupt nichts?«, fragte Isabel, die allmählich die Geduld verlor. Ihr Cousin war ein hübscher Kerl, aber anscheinend so nützlich wie ein vor einen Ochsenkarren gespannter Pfau und nur halb so natürlich. »Wieso seid Ihr dann nicht tot?«
»Ich esse einige Dinge, Mylady«, sagte Simon und bemühte sich, nicht zu lächeln. »Aber niemals Fleisch, und niemals in Gesellschaft.« Er hatte sich vor langer Zeit darauf eingestellt, sich nichts mehr aus dem Duft menschlicher Nahrung zu machen, obwohl der Anblick von Essen ihm nach wie vor eher ein flaues Gefühl im Magen verursachte. »Ich möchte Euch jedoch nicht vom Abendessen abhalten«, versicherte er ihr hastig. »Bitte, setzt Euch …«
»Nein«, unterbrach Isabel ihn, und ihre Verärgerung wuchs. Sie hatte gedacht, sie hätte es vermisst, einen Adligen auf dem Schloss zu beherbergen, aber nun, wo einer da war, war sie sich dessen nicht mehr so sicher. Kaum durch die Tür, lud dieser Simon sie bereits huldreich ein, an ihrem eigenen Tisch Platz zu nehmen, als wäre das seine
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