Gefährtin Der Finsternis
»Also sagt mir – worum genau geht es bei diesem heiligen Fluch?«
»Ich kann es nicht sagen«, antwortete er. »Aber ich habe allem abgeschworen, um ihm zu entkommen – Gesellschaft, Nahrung, sogar dem Tageslicht.«
»Und das bedeutet?«, fragte sie.
»Das bedeutet, dass ich die Sonne nicht sehe«, antwortete er.
»Niemals?«, fragte sie und zog die Augenbrauen hoch. Das konnte er doch gewiss nicht ernst meinen.
»Niemals. Während der Tagesstunden verberge ich mich. Darum kam ich in der Dämmerung zu Euren Toren.« Simon konnte erkennen, dass sie ihn für verrückt hielt, aber sie glaubte anscheinend nicht, dass er log. »Aber Gottes Gnade bleibt mir dennoch versagt«, fuhr er fort. »Ich wanderte viele Monate in der Wildnis umher, alle meine Weggefährten bis auf Orlando, ein Ungläubiger, dessen Leben ich verschont habe, habe ich verloren.«
»Das sollte Euch zugutegehalten werden, Simon«, erklärte Isabel. Er meinte es absolut ernst. Er glaubte ernsthaft, dass Gott ihn für das, was auch immer er getan hatte, so sehr hasste, dass er es nicht mehr wagte, sich der Welt zu zeigen. »Ihr könnt nicht wirklich glauben, Gott wollte, dass Ihr einen Menschen ermordet, der Euch nur bis zum Gürtel reicht.«
»Nein«, stimmte er ihr zu. »Orlando ist ein Segen, der einzige, den ich habe.«
»Nicht ganz«, berichtigte sie ihn. »Ihr lebt. Ihr habt noch Euer Leben – wenn Ihr wirklich verflucht wärt, hätte Gott es Euch dann nicht genommen?«
»Nein«, antwortete er und begegnete ihrem Blick. »Dass ich lebe, ist das Schlimmste an meinem Fluch.«
»Lächerlich«, höhnte sie. »Gütiger Himmel, Mann, was habt Ihr getan?«
Er musste fast lächeln. Kein Mensch konnte grausamer den Kern einer Sache treffen als eine Frau. »Mehr Sünden, als ich Euch zu erzählen wage, Mylady«, antwortete er, dieselbe Ausflucht, die Adam benutzt haben musste, nachdem er den Garten für zwei Tage verlassen hatte, aber mit weitaus weniger Grund. »Glaubt mir, ich wage es nicht, meinen Schwur zu brechen.«
»Aber worin liegt der Sinn?«, wollte sie wissen, ihre Verwirrung wich wahrer Verärgerung. In Wahrheit wollte sie ihn schütteln, wie eine ungeduldige Mutter ihr ungebärdiges Kind schütteln mochte. Sie hatte wirkliche Probleme, wahre Ängste, denen sie sich stellen musste, und er war ihr Verwandter, ein edler, starker Ritter, wie es schien. »Warum seid Ihr hierher gekommen?«
»Ich hatte eine Vision«, antwortete er.
»Ja, das sagtet Ihr bereits«, erwiderte sie, ohne sich die Mühe zu machen, Höflichkeit auch nur vorzuschützen. Als ob es sie kümmerte, als ob sie es sich leisten könnte, dass es sie kümmerte …
»Vor vielen Monaten kam Sir Gabriel in einem Traum zu mir«, erklärte Simon. »Er schien alles über mich zu wissen, all das Böse, das ich getan hatte, und alles, was ich erlitten hatte. Er sagte mir, meine Seele sei noch nicht verloren, dass ich noch immer Rettung finden könne.«
Isabel sah ihn an und traute ihren Ohren kaum. »Mein Vater kam zu Euch?«, fragte sie und suchte in seinem Gesicht nach einem Hinweis auf eine Lüge. »Warum hätte er zu Euch kommen sollen?« Warum nicht zu mir?, wollte sie ihn anschreien, der Zorn, den sie empfand, war wie eine Krankheit, die sie jäh befiel. Ihr Vater war plötzlich tot umgefallen, im einen Moment wohlauf, im nächsten lag er tot am Boden. Sie hatte ihn nicht einmal sterben sehen. Sie war im Stall gewesen und hatte auf ihn gewartet, denn er hatte versprochen, mit ihr auszureiten. Dann hatte sie einen Schrei gehört: »Mylord!« und war auf den Hof hinausgelaufen. Aber da war ihr Vater bereits tot, und seine leeren Augen blickten zu ihr hinauf, ohne etwas zu sehen. Sie brauchte ihren Vater. Sie brauchte einen Ritter, der sie beschützte, der Charmot beschützte.
»Ihr seid ein Lügner«, sagte sie laut und begegnete Simons Blick. »Ich glaube Euch nicht. Ich werde nicht …«
»Er sagte mir, ich solle hierher nach Charmot kommen«, beharrte Simon. Er hatte erwartet, seine Geschichte dem Mann selbst zu erzählen, nicht seiner trauernden Tochter. Warum sollte sie ihm auch glauben? Warum sollte es sie kümmern? Er war so lange in seinem eigenen Elend gefangen gewesen, dass er vergessen hatte, wie es war, den Schmerz eines anderen Menschen zu spüren. Hätte ihn jemand danach gefragt, hätte er geleugnet, immer noch wahres Mitgefühl empfinden zu können. Er hätte gesagt, es sei seinem Dämonenherzen so fremd wie die Liebe. Aber jetzt spürte er es, und das
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