Gefaelschtes Gedaechtnis
eines besseren Ausdrucks, eine athletische Aura - ein Nimbus von körperlicher Kraft und Anmut, der durch seine teuren Businessanzüge keineswegs vermindert wurde. Und irgendwie machte das seine Krankheit nur umso tragischer.
Henrik summte vor sich hin, als er hereinkam. Es war dieselbe Melodie, die er immer summte, und Duran hatte sie schon vor langer Zeit erkannt: »Joshua fit the Battle of Jericho«. Er hatte sich mehrfach erkundigt, ob es irgendeine besondere Bewandtnis mit dem Lied hatte. War de Groot beispielsweise in seiner Jugend ein sehr religiöser Mensch gewesen? Ein Kirchgänger? Das hätte einiges erklären können, aber de Groot hatte das verneint. »Kirche?« Er hatte die Stirn gerunzelt und das Wort so ausgesprochen, als wäre es ihm fremd und leicht unappetitlich. »Nein.«
Duran eskortierte den Holländer zu dem Sessel, den er dem Sofa vorzog, versetzte ihn in leichte Trance und lockerte ihn mit gesteuerten Vorstellungsbildern ein wenig auf. »Wir sitzen zusammen auf einem Felsen«, sagte er, »in einem kleinen Hafen, den sonst keiner sehen kann. Wir beide sind ganz allein mit den Wellen und den Vögeln. Und einem leichten Wind, der nach Meer riecht. Das ist unser sicherer Ort, Henrik.«
»Ja.«
»Und nichts kann uns hier wehtun. Nichts und niemand.«
De Groot nickte. »Niemand«, wiederholte er.
»Jetzt möchte ich, dass du mir von dem Wurm erzählst«, suggerierte Duran. »Erzähl mir von dem Wurm.«
»Der Wurm ist der Boss«, murmelte de Groot.
»Das wissen wir, Henrik, aber wie bist du an ihn gekommen?« De Groot legte die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf. »Das steht nicht zur Debatte.«
»Natürlich tut es das«, erwiderte Duran. »Deshalb sind wir ja hier. Und überhaupt, wir haben schon früher darüber gesprochen - oft.«
»Nein ... ich glaube nicht.«
»Da war ein Licht«, rief Duran ihm in Erinnerung. »Ein helles Licht. Weißt du noch? Du bist gefahren ...«
Die Miene des Holländers wechselte von trotziger Sicherheit zu Furcht. »Nein«, sagte er, »nicht heute.« Plötzlich beugte er sich vor und richtete sich auf, als wollte er aus dem Sessel aufstehen.
Duran legte eine Fingerspitze auf de Groots Handgelenk, hielt ihn mit federleichtem Druck zurück. »Schon gut, Henrik«, sagte er. »Du bist bei mir. Wir sind an dem sicheren Ort.«
Sein Klient sackte zusammen und schnalzte leise mit der Zunge. »Na gut«, sagte er. »Ich erinnere mich.«
»Woran erinnerst du dich?«
»Da war ein Licht — auf der Straße —«
Duran schüttelte den Kopf. »Da war ein Licht — im Himmel.« »Ja ... natürlich, es war im Himmel, aber ... ich saß im Auto. Es war auf einer Landstraße.«
»In Amerika?«
»Ja, hier, in Amerika! «
»Wo?«, fragte Duran.
De Groot zuckte die Achseln. »Watkins Glen.«
»Und was dann?«
»Das Licht war auf der Straße«, sagte der Holländer, plötzlich aufgeregt. »Es war überall um mich herum. So hell! Und grell — wie ein Blitz, der nicht aufhört. Ich kann nichts sehen!«
»Doch, du kannst, Henrik. Du kannst sehen. Ich will, dass du siehst.«
»Es saugt mich auf!« De Groot schauderte, sein Körper presste sich in den Sessel.
»Wie meinst du das?«
»Es ist wie ein Schwamm. Das Licht ist wie ein Schwamm! Ich werde hineingezogen.«
»Und welche Farbe hat das Licht?«
De Groot schüttelte heftig den Kopf.
»Ist es nicht blau?«, fragte Duran. »Bläulich?«
»Ja, blau! Und ich bin darin eingetaucht. Innen und außen. Es geht durch mich hindurch, wie ein Geist.«
»Was meinst du damit, >wie ein Geist«
»Wie ein Geist, der durch eine Wand geht.«
»Das ist gut, Henrik. Das ist sehr gut. Jetzt möchte ich, dass du etwas Mutiges tust. Ich möchte, dass du dich daran erinnerst, was passiert, wenn das Licht durch dich hindurchgeht. Kannst du das?«
»Nein! «
»Es ist dein sicherer Ort, Henrik. Vergiss das nicht. Hier bist du sicher. Also, atme tief ein. Langsam. Ganz langsam. Ein ... und aus. Ein und ... aus. Noch mal! Ein ... und aus. Ein ... gut. So ist recht. Jetzt lass deinen Atem bis in deine Haut fließen. Ich möchte, dass er dich ganz ausfüllt, damit du ihn gehen lassen kannst.« Duran sah dem Holländer eine Weile beim Atmen zu. Dann drängte er:
»Okay ... wenn das Licht durch dich hindurchgeht ...«
»Es hebt mich hoch. Ich schwebe im Licht nach oben.«
»Was meinst du damit?«, fragte Duran.
»Das Licht zieht mich in sich hinein. Es ist wie ... wie ein Fahrstuhl ohne Wände, eine Rolltreppe ohne
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