Gefaelschtes Gedaechtnis
Eigenschaften dagegen bis zur Bedeutungslosigkeit verblassten. Der Geschäftsmann litt nämlich an »Zwangshalluzinationen«. Er glaubte zum Beispiel, dass ein »Wurm« sich in seinem Herzen eingenistet hatte, der ihm in allen möglichen Dingen, von Politik bis zu Finanzfragen, Ratschläge zuflüsterte.
Unter den gegebenen Umständen konnte Duran nicht viel tun. Der Holländer nahm Clozaril, ein Medikament, das sich in solchen Fällen anbot und ihm von seinem Psychiater in Europa verschrieben wurde, mit dem Duran gelegentlich per E-Mail kommunizierte. Durans Aufgabe war es, unter Einsatz von Hypnose und Regressionstherapie eventuelle Traumata aufzuspüren, die zu de Groots Störung beitrugen, und ihm zu helfen, sich ihnen zu stellen. Nur dann hatte er eine Chance auf dauerhafte Genesung.
Es war in vielerlei Hinsicht ein eigentümlicher Fall. Duran fand zum Beispiel interessant, dass der Holländer seine Krankheit als eine Art Besessenheit deutete - wobei das Instrument dieser Besessenheit ein Wurm war. Dass der Wurm weniger ein Parasit, sondern ein Dämon war, lag selbst für de Groot auf der Hand: Parasiten erteilten keine Befehle - Inkuben sehr wohl.
Zuerst hatte Duran spekuliert, dass der Wurm auf eine multiple Persönlichkeit hindeutete und der Holländer nicht an Schizophrenie litt, sondern an Dissoziation. Aber nein. Der Wurm war ein Eindringling (in de Groots Augen), kein Alter Ego.
Ein weiterer irritierender Aspekt von de Groots Persönlichkeit war sein unverhohlener Rassismus. Im Zeitalter der so genannten political correctness war es erschreckend, jemandem zu begegnen, der solche Äußerungen von sich gab wie der Holländer: »Wie Sie es in dieser Stadt mit den ganzen Niggern aushalten, ist mir schleierhaft.« Duran reagierte jedes Mal empört und widersprach sofort aufs Heftigste; auch das war ein Bereich, den er mit dem Holländer aufarbeitete, obwohl sie die Wurzeln von de Groots Intoleranz bislang noch nicht hatten aufspüren können. In Holland gab es einen kleinen schwarzen Bevölkerungsanteil - hauptsächlich Molukken -, doch Schwarze schienen im Leben seines Klienten keine bedeutende Rolle gespielt zu haben. Durae fragte sich kopfschüttelnd, wie de Groot in der Geschäftswelt zurechtkam - vor allem in Washington -, wenn er häufiger rassistische Kommentare von sich gab.
Duran sah auf seine Notizen, und sein Blick fiel auf ein Wort, das er unterstrichen hatte: Mandala.
Das war ein zentraler Begriff in de Groots Fantasiewelt. So beteuerte der Holländer bei jeder Sitzung, Mandala sei böse und müsse vernichtet werden. Duran erinnerte sich, dass ein Mandala eine Art geometrische Figur war, aber trotzdem hatte er den Begriff nachgeschlagen, weil er hoffte, dessen Bedeutung für seinen Mandanten analysieren zu können. Die Enzyklopädie war jedoch keine große Hilfe gewesen. Demnach war ein Mandala (wahlweise) eine Darstellung des Universums, ein symbolisches Gemälde (bestehend aus einem von einem Kreis umschlossenen Rechteck) und/oder ein Kraftfeld in einem konstanten Fluss. Buddhisten verwendeten die Figur zur Meditation, aber was sie für de Groot bedeutete, stand in den Sternen.
Zwei Wochen zuvor hatte er dem Holländer eine Auswahl tibetischer Mandalas gezeigt, die er im Internet gefunden hatte. De Groot hatte lediglich die Achseln gezuckt und höflich »Sehr interessant« gesagt. Die Figuren schienen nicht das Geringste bei ihm auszulösen.
Durans Nachforschungen hatten dennoch etwas Interessantes ergeben, nämlich dass visuelle Halluzinationen von Mandalas bei Schizophrenen recht häufig waren. Sie sahen in der strengen Symmetrie der Figur eine Art Ordnung und Stabilität, die in ihren gequälten Köpfen sonst nicht zu finden war. Die meisten Schizophrenen fanden Trost in diesen Mandalas - oder zumindest Erleichterung -, wohingegen de Groot -
Der Summer ließ Duran zusammenfahren, wie immer, aber sein Klient war pünktlich auf die Minute. Er schloss das Verzeichnis, stand auf, ging ins Wohnzimmer und drückte den Knopf an der Sprechanlage. »Henrik?«
Der Holländer sah fast so gut aus, wie er verrückt war. Sein Haar war eher gelb als blond, drahtig und glänzend, wie der Pelz eines nassen Tieres. Hohe Wangenknochen. Blassblaue Augen, die auf beiden Seiten einer langen, geraden Nase blitzten und funkelten. Ein tiefes Kinngrübchen vervollständigte das Bild.
Oder nicht ganz. Es gab noch etwas an de Groots Aussehen, das auf der Straße die Blicke auf sich zog. Es war, in Ermangelung
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