Gefaelschtes Gedaechtnis
aufstoßen musste. »Nach Cals Tod war ein Mann von der Regierung hier und hat das Gleiche gefragt. Entsetzlicher kleiner Mann!« Sie warf den Kopf zurück wie ein Teenager. »Ich hab ihm erzählt, dass Cal immer irgendeinen toten Legionär zitiert hat. Pas de cartes, pas dephotos et pas de souvenirs . «
Adrienne sah sie ratlos an. »Ich hab Spanisch in der Schule gehabt.«
McBride übersetzte. »Keine Briefe, keine Fotos und keine Souvenirs.« Er lächelte bekümmert. »Was für uns nicht so schön ist. Jedenfalls«, fuhr er entschlossen fort, »wir haben Ihre Zeit schon zu lange in Anspruch genommen.«
»Sie waren sehr freundlich«, pflichtete Adrienne bei, stand auf und streckte der alten Frau die Hand hin.
Mamie ergriff sie und hielt sie länger als nötig, wobei sie Adrienne prüfend betrachtete, als wäre sie ein Vermeer. »Sie haben so eine Aura«, sagte sie. Dann lachte sie. »Vielleicht nehmen Sie doch noch mal Platz.« An McBride gewandt, fügte sie hinzu: »Cal war ein richtiger Schwätzer — pas de cartes , von wegen! «
37
W enige Minuten später kam sie zurück, Lippenstift nachgezogen, Haare frisch gekämmt, und hielt eine abgegriffene Aktentasche und ein kleines Fotoalbum in den Händen. Sie hob die Aktentasche hoch und sagte: »Er hat seine Korrespondenz am liebsten hier erledigt.« Mit einem Blick zum Fenster hinaus sagte sie: »Da braut sich was zusammen. Vielleicht sollten wir besser ins Florida-Zimmer gehen.« Sie bedeutete ihnen, ihr zu folgen, und ging über einen langen Flur in einen Raum mit großen, altmodischen Fenstern mit Jalousien und einer niedrigen Decke, an der sich ganz gemächlich ein Ventilator drehte.
Durch die Fenster war hinter heftig wogenden Palmen der Golf von Mexiko zu sehen, auf dessen schwarzblauer Fläche weiße Schaumkronen tanzten. McBride meinte, die Elektrizität in der Luft förmlich spüren zu können.
Der Raum war gemütlich eingerichtet mit alten Rattanmöbeln und Pflanzen in Hülle und Fülle: Geigenblattfeigen, Farnen, Hibisken. Zitrusbäumen in großen, glasierten Töpfen. Gardenien blühten an der Tür und erfüllten die Luft mit ihrem starken Duft.
Mamie setzte sich zwischen ihre Gäste auf eine kleine Couch, das Album auf dem Schoß. Sie blätterte es Seite für Seite durch, ohne bei einer länger zu verweilen. »Mein Elternhaus«, sagte sie, »in Amstelveen. «
»Es ist wunderschön«, bemerkte Adrienne, und das war es wirklich.
»Sie waren Bankangestellte«, sagte Mamie. »Auch meine Mutter.« Sie blätterte weiter, blickte nachdenklich auf die Fotos. »Mein Bruder Roel.« Sie seufzte. »Wie gut er aussah!«
»Lebt er noch?«
Mamie schüttelte den Kopf. »Nein. Er starb während des Krieges. «
»Als Soldat?«, fragte McBride.
Sie verneinte. »Tuberkulose.« Ein weiteres Foto, diesmal von einer jungen Frau an einem Cafétisch in einer europäischen Stadt. »Erkennen Sie, wer das ist?«, fragte sie kokett.
McBride lächelte. »Na klar«, sagte er, »das ist Greta Garbo. Die würde ich überall erkennen.«
Mamie lachte auf. »Sie sind ein Engel! Und ein Lügner.«
»Das sind Sie, nicht wahr?«, fragte Adrienne. »Sie sind ja eine richtige Schönheit!«
»Und Sie sind sehr freundlich«, erwiderte Mamie. Dann schlug sie die nächste Seite auf und hielt inne. Ihr Zeigefinger stieß auf ein Foto, 13 x 18, auf dem einige Männer auf einer eleganten Terrasse vor einer Bergkulisse posierten, bei der es sich nur um die Alpen handeln konnte. »Da!«, sagte sie. »Das wollte ich Ihnen zeigen.«
Das Foto hatte eine Sepiatönung; die Männer hatten sich in zwei Reihen aufgebaut — drei standen hinten, drei hockten vorn. Sie trugen altmodische Wanderkleidung — Knickerbocker, Kniestrümpfe, schwere Schuhe, gemusterte Wollpullover.
»Der da vorne ist Cal — wie immer im Mittelpunkt.«
Adrienne sah sich das Foto genauer an, das Crane und seine Freunde nach einer Bergtour zeigte. Sie konnte auf den ersten Blick erkennen, dass er in jungen Jahren gut ausgesehen hatte, mit dunklen Augen, breiten Schultern, Adlernase und einem tief eingekerbten Kinn. Links von ihm war ein großer Skandinavier mit rundem Gesicht, vollen Wangen und blondem Stachelhaar. Seine blassen Augen waren leicht zusammengekniffen und blickten direkt in die Kamera.
»Wer ist das da neben Mr. Crane?«, frage McBride. Der Mann kam ihm seltsam bekannt vor.
»Das ist Ralf«, erwiderte Mamie. »Er und Cal haben zusammen gearbeitet.«
»Im
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