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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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Halb sieben. Noch immer über eine Stunde Zeit, bis Adrienne kam, also musste sie sich nicht beeilen.
    Sie trat an die Küchentheke, goss sich ein Glas kühlen Russian River Chardonnay ein und legte eine CD von Miles Davis auf. »Sketches of Spain.«
    Sie trank einen Schluck Wein, und als sie ins Badezimmer ging, durchlief ein Frösteln ihren Körper. Während sie auf dem Balkon das Album durchsah, war ihr kalt geworden. Sie nahm das Heizöfchen aus dem Wäscheschrank neben der Wanne, stöpselte es ein und stellte es auf die Umrandung der Wanne.
    Sie schaltete das Heizöfchen an und genoss einen Moment lang seine helle und plötzliche Wärme, bevor sie sich langsam auszog und ihre Kleidung in den Wäschekorb warf. Sie stand nackt da, nahm einen Schluck Wein und gab sich leise schwankend dem zähen, betörenden Legato der Trompete hin, während Miles durch das »Concierto de Aranjuez« flog. Schließlich stieg sie ins Wasser und ließ sich ganz sachte und allmählich in die Schaumwolke hinab.
    Das Wasser war genau richtig. So heiß, dass sie es so eben noch aushielt. So heiß, dass die Hitze sie völlig zu durchdringen schien. So heiß, dass es genau an der Grenze zwischen Lust und Schmerz war, anders ausgedrückt, knapp oberhalb der Schmerzgrenze. Sie dachte über diesen Begriff nach — die Schmerzgrenze — und lächelte, während sie langsam wie ein Gletscher tiefer ins Wasser glitt. Sie hörte die winzigen Explosionen der Schaumblasen, die unter dem Druck ihres Rückens zerplatzten. Sie spürte sie in den Härchen hinten im Nacken.
    Träge nippte sie am Wein und sah zu, wie die Spiralen des Heizöfchens sich immer tiefer und tiefer orangerot färbten. Dann traf Miles einen so herzzerreißend reinen Ton, dass sich ein feuchter Film über ihre Augen legte — und sachte, fast zärtlich streckte sie einen Fuß aus und kippte das Heizöfchen ins Wasser.

5
                

              I n Durans Apartmentkomplex, den Capitol Towers, befand sich ein Einkaufszentrum im Untergeschoss, sodass die Bewohner das Gebäude eigentlich gar nicht verlassen mussten. Es gab einen Supermarkt, eine Drogerie, eine Reinigung, einen Zeitungsladen, ein Reisebüro und ein Starbuck's Café.
    Duran, der vom Safeway-Supermarkt im Untergeschoss kam, hielt drei Plastiktüten mit Lebensmitteln in der linken Hand, während er mit der rechten versuchte, die Wohnungstür zu öffnen. Schließlich schwang die Tür auf, und im selben Moment wusste er, dass gleich das Telefon klingeln würde.
    Das war so eine Fähigkeit von ihm. Irgendwie.
    Aus unerfindlichen Gründen war er besonders auf die Geräusche und Schwingungen von Geräten gepolt — das Surren und Klicken der Eismaschine, das einschläfernde Brummen der Klimaanlage, das Rauschen und Brausen des Wassers im Geschirrspüler. Er bemerkte sofort jede noch so kleine Veränderung in der Akustik seiner Geräte, und jede Unregelmäßigkeit war für ihn so auffällig wie das Niesen eines Einbrechers um Mitternacht.
    Es war keine sonderlich nützliche Eigenschaft, und er wusste nicht, woher er sie hatte. Aber dass er sie hatte, stand außer Frage. Er schob die Tür mit dem Fuß hinter sich zu und spürte schlagartig eine Art Spannung im Raum. Einen Moment lang blieb er wie erstarrt dicht hinter der Tür stehen und lauschte in die Luft. Dann trat er ans Telefon.
    Es klingelte.
    Es war unheimlich und unerklärlich. Allenfalls ließ es darauf schließen, dass er auf die Geräte in seiner Wohnung, auf Kühlschränke und Telefone, besser eingestellt war als auf Menschen — eine bedauerliche Eigenschaft bei einem Therapeuten. Trotzdem, dachte er, als er nach dem Hörer griff, ein Raum, in dem gleich ein Telefon klingeln würde, war nicht misszuverstehen. Die Luft vibrierte vor Erwartung, wie ein Zuschauersaal, in dem gleich tosender Applaus ausbricht.
    »Hallo?«
    »Jeff?«
    Er erkannte die Stimme nicht. Und die Frage — eigentlich nannte ihn niemand so. Er war immer bloß Duran oder Doktor Duran. »Hall000? Ist da jemand?«
    »Ja, ja! Tut mir Leid, ich —Jeff am Apparat.«
    »Ja, grüß dich! Ich bin's, Bunny Kaufman Winkleman. Ich bin froh, dass ich dich erwischt habe. Die meiste Zeit krieg ich immer nur Anrufbeantworter.«
    »Ach ...«
    »Fast immer, aber ... wir haben uns nicht sehr gut gekannt, was? In Sidwell? Wir waren im selben Jahrgang — damals, Abschlussklasse'87, Da hieß ich noch einfach Bunny Kaufman.« Sie hielt inne, plapperte dann weiter. »Du warst wohl einer von den

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