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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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Erinnerungen< — zumindest glaubte sie das. Jedenfalls hatte damals ein Sachverständiger für den Mandanten der Kanzlei ausgesagt. Sie war sich ganz sicher, weil Bill ein begnadeter Imitator war, und sie sah noch den Ausdruck auf seinem fröhlichen braun gebrannten Gesicht vor sich, wie er bei ein paar Tequilas Szenen aus dem Prozess nachspielte. Der Doktor mit seiner tiefen Stimme war überzeugend gewesen, sehr sachlich.
    Sie würde Bill nach dem Namen des Doktors fragen. Vielleicht könnte der sich Duran einmal ansehen, und selbst wenn nicht, er könnte ihr vielleicht einen Tipp in die richtige Richtung geben — einen Kollegen empfehlen oder irgendwas.
    Sie stieg aus der Dusche und wickelte sich in ein Badetuch. Das Badezimmer war klein und voller Dampf, der Spiegel nur ein grauer Fleck. Mit einem Handtuch wischte sie eine Stelle frei, damit sie sich sehen konnte, und fuhr sich dann mit dem Plastikkamm des Hotels durch das wirre Haar. Es nützte wenig. Aber es war Wochenende, und etwas anderes hatte sie nicht da.
    Schließlich schlüpfte sie in das marineblaue Kleid, das sie gekauft hatte. Nachdem sie noch Ohrringe angelegt hatte, trat sie aus dem Badezimmer, wie verwandelt.
    Duran blickte vom Fernseher auf und stockte. »He«, sagte er, »Sie sehen ... nett aus.«
    »Danke«, erwiderte sie. »Es wird spät werden, also warten Sie nicht auf mich. Aber hauen Sie auch nicht einfach ab. «
    »Aber ... wo wollen Sie denn hin?«, fragte er, ebenso argwöhnisch wie besorgt.
    »Ins Büro.«
    »Büro? Sind Sie wahnsinnig? Wir verstecken uns, hier, Herrgott noch mal! Außerdem ist heute Sonntag, Sie können gar nicht ins Büro.«
    »Ich muss.«
    Duran schaltete den Fernseher aus, setzte sich auf und sah ihr direkt in die Augen. »Irgendjemand versucht, Sie umzubringen! In so einem Fall hat jeder Arbeitnehmer das Recht auf einen freien Tag.«
    »Ich kann nicht.«
    »Sie müssen.«
    »Das werde ich nicht tun.«
    »Und was ist, wenn die Ihnen folgen?«, wollte er wissen.
    »Von hier?«
    Er schüttelte den Kopf. »Hierher. Von Ihrem Büro aus.«
    »Das machen die nicht. Da müssten sie ja den ganzen Tag über das Büro bewachen, auf die vage Chance hin, dass ich auftauche. Und obendrein meine Wohnung, denn da würde ich ja wohl eher hingehen als ins Büro. Besonders an einem Sonntag, also ... Es wird schon gut gehen. Schließlich ist ja nicht der KGB hinter uns her.«
    Duran ließ sich wieder aufs Bett fallen. »Woher wissen Sie das?« Sie lächelte. »Sehr komisch.«
    »Sie lassen sich nicht davon abbringen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Dann möchte ich, dass Sie mich anrufen«, sagte Duran, »wenn Sie dort ankommen und wenn Sie wieder gehen. Okay?«
    Sie war einverstanden.
    Der Mietwagen war ein metallic-grüner Dodge Stratus. Er hatte einen penetranten Neuwagengeruch, und als Adrienne Richtung Stadt fuhr, beschlugen andauernd die Scheiben. Der Regen hatte zwar nachgelassen, aber die Luftfeuchtigkeit war enorm hoch. Da Adrienne im Auto nichts Geeignetes zum Abwischen der Windschutzscheibe fand, nahm sie die Finger der rechten Hand zu Hilfe, verschmierte aber nur das Glas.
    Nicht, dass sie das sonderlich aufgeregt hätte, denn sie war mit den Gedanken woanders. Sie dachte, dass Duran mit seinen Bedenken Recht hatte. Das Sicherste wäre gewesen, sie hätte sich ein paar Tage krankgemeldet. Aber das ging einfach nicht. Slough hätte dafür kein Verständnis. Und wenn sie alles erklären würde — ihm erzählen würde, was passiert war —, tja, das wäre sogar noch schlimmer. Auf Anwälte bei Slough & Hawley wurde nun mal nicht geschossen. Falls doch, waren ihre Aufstiegschancen gleich null.
    Und überhaupt, sie hatte keine Angst. Im Gegenteil, angstmäßig war sie völlig ausgelaugt, und das schon seit sehr langer Zeit.
    Ein typisches Merkmal von Angst war, dass sie an den Kräften zehrte. Das wusste sie schon seit ihrer Kindheit. Jahrelang hatte sie in einem nahezu permanenten Zustand der Furcht gelebt. Nach Grams Tod war da die Angst, dass niemand sich mehr um sie kümmern würde. Dann, nach einer ganzen Reihe von Pflegeeltern und zwischenzeitlichen Heimaufenthalten, gab es die Angst, geschlagen, angebrüllt, gedemütigt, missachtet oder herumgestoßen zu werden. Sogar die Sozialarbeiter machten ihr Angst, diese verlogene Art, wie sie ihre Hand hielten und bedeutungsschwangere Fragen stellten, deren Tragweite und Konsequenzen sie nicht abschätzen konnte. Dass sie nicht die richtigen Antworten gab, merkte sie, wenn sie

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