Gefaelschtes Gedaechtnis
Slough ist vor ein paar Stunden hingeflogen. Und das bedeutet praktisch, deine große Stunde ist gekommen.«
»Was soll das heißen, meine große Stunde ist gekommen?«
»Du sollst McEligot vernehmen.«
»Was?! Wann?«
»Morgen. «
»Aber —«, Adrienne suchte nach Worten. »Ich hab doch ... noch nie eine Zeugenvernehmung gemacht. Ich bin nicht vorbereitet; Ich weiß nicht — Himmel, Bette! «
»Na ja, manche von uns sind richtig neidisch auf dich. Ich meine —«
Ein leises, aber hohes Quietschen von Adrienne. Der Kessel begann zu pfeifen. Sie goss Wasser in die Becher, rührte dann beide um.
»Er hat gesagt, er würde dir seine Unterlagen schicken«, erklärte Bette mit beruhigender Stimme. »Also guck mal in deine E-Mail. Andererseits war er wirklich total in Eile, also ... wer weiß?« Sie trank einen Schluck von ihrem Kaffee und ging dann zur Tür. »Köstlich. Jedenfalls ... du bist ein richtiger Glückspilz.«
»Moment noch«, sagte Adrienne und stöhnte innerlich bei dem Gedanken, wieder eine Nacht durcharbeiten zu müssen. »Hast du Bill irgendwo gesehen?«
»Welchen Bill? Meinst du Fellowes?«
»Ja.«
»Schon ein paar Tage nicht mehr. Der ist in Detroit. Ich glaube, er kommt erst am Dienstag wieder.«
Als Bette fort war, wählte Adrienne Bill Fellowes Privatnummer und sprach ihm auf den Anrufbeantworter. Sie bat um Rückruf.
Danach sah sie in ihre Mailbox. Sie hatte acht Nachrichten erhalten: zwei Witze, die von Bekannten an sie weitergeleitet worden waren, zwei Werbeangebote von AOL und E*Trade und vier Mitteilungen von Slough: 1) Rufen Sie mich an. 2) Wo sind Sie? 3) Sie machen die McEligot-Vernehmung. Und 4) Anbei meine Unterlagen dazu. (Sie müssen sie noch ein bisschen ausfeilen.) Auf sie mit Gebrüll!
Die letzte E-Mail hatte eine Anlage. Sie las sie durch und vergrub dann das Gesicht in den Händen. Ausfeilen? Mit Ausnahme von ein paar Sätzen, die sie nicht wiedererkannte, bestanden Sloughs Vorbereitungen für die McEligot-Vernehmung aus nichts anderem als dem Memo, das sie für ihn verfasst hatte. Sie enthielten also im Großen und Ganzen nur das, was sie längst wusste — und sonst nichts.
Sie wählte Sloughs Nummer in San Diego und hinterließ ihm die Nachricht, sie hätte alles erhalten und sei jetzt im Büro, falls er mit ihr darüber reden wollte. Dann krempelte sie die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit.
Die Zeit verging nicht gerade wie im Flug.
Die McEligot-Vernehmung war ein Minenfeld, jede Frage warf gleich eine Vielzahl von Problemen und Möglichkeiten auf — sodass drei Stunden vergangen waren, als Adrienne das erste Mal auf die Uhr schaute —, und sie hatte vergessen, Duran anzurufen.
»Ich hab mir schon Sorgen gemacht«, sagte er, als sie ihn schließlich in der Leitung hatte.
»Ich hatte furchtbar viel um die Ohren«, erklärte sie. »Und es dauert bestimmt noch ein paar Stunden. Ich bin noch nicht fertig.«
»Es gefällt mir nicht, dass Sie da sind«, erklärte er. »Ich halte das für gefährlich.«
Seine Sorge rührte sie. »Ich bin nicht allein!«, erwiderte sie. »Hier schuften alle wie verrückt. Sobald ich kann, komm ich zurück und mach den Rest auf dem Laptop. Ich bring was zu essen mit.«
»Prima, aber —«
»Keine Sorge, ich pass schon auf mich auf.«
»Gute Idee«, sagte er, »aber ich wollte Sie eigentlich bitten, mir noch eine Dose Bier mitzubringen.«
Es war zehn Uhr, als ihre Müdigkeit endlich von Hunger verdrängt wurde, und sie beschloss, zurück ins Motel zu fahren. Inzwischen war sie die einzige Anwältin, die noch arbeitete, aber nicht der einzige Mensch auf der Etage. Vom Flur drang das dumpfe Dröhnen der Staubsauger, das Quietschen von Polierlappen auf Messing, das Plappern von Stimmen, die sich auf Spanisch unterhielten.
Sie konnte ihre Notizen im Motel an Nikkis Laptop ausarbeiten. Sie kopierte ihre Arbeit auf Diskette, hängte sich den Laptop über die Schulter und schaltete das Licht aus.
Dann fuhr sie im Fahrstuhl hinunter, gemeinsam mit einer hübschen jungen Frau, die ihren Rolleimer und Schrubber hinausmanövrierte, als sie im zweiten Stock hielten. Allein im Fahrstuhl kam ihr die Welt plötzlich unheimlich still vor — bis die Türen aufglitten und eine Welle von Technomusik aus einem Gettoblaster in der Lobby über sie hinwegdröhnte.
Der Regen hatte aufgehört, aber ein feuchter Wind kniff ihr in die Wangen, als sie zum Wagen hastete. Falls irgendwas passieren sollte, dachte sie, wäre jetzt der Augenblick
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