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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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enttäuscht mit den Augen zuckten, nachdenklich lächelten, Fragen neu formulierten. Einmal hatte sie mitbekommen, wie sie darüber sprachen, dass eine Familie sich dafür interessierte, das jüngere Kind — also sie — zu adoptieren. Sie war zu Tode verängstigt gewesen. Wochenlang ließ sie Nikki nicht mehr aus den Augen, vor lauter Panik, sie könnten getrennt werden.
    Doch das waren akute Ängste gewesen, die beinahe täglich kamen und gingen, wie die Gezeiten. Es gab aber auch eine andere Angst, die chronisch und unveränderlich war, ein Adrenalinräuber, angetrieben von der Furcht, jeder Zufluchtsort, den sie und Nikki gefunden hatten, würde sich bald wieder in Luft auflösen.
    Es war also nicht verwunderlich, dass ihre Fähigkeit, sich zu fürchten, nach einer Weile fast auf ein Nichts zusammenschrumpfte und sich Adriennes argwöhnische Wachsamkeit zu der Zeit, als sie und Nikki zu Deck und Marlena kamen, schon in eine Art tumbe Fügsamkeit verwandelt hatte. Jahre später, als Jurastudentin, hatte sie ihre Akte vom Jugendamt angefordert, in der sie reichlich Spekulationen darüber gefunden hatte, was mit ihr »nicht stimmte«: Bindungsunfähigkeit, Borderline-Persönlichkeit, Affektstörung. Die Diagnose variierte von Sozialarbeiter zu Sozialarbeiter. Aber in Wahrheit war es nichts dergleichen: Was mit ihr nicht stimmte, war ganz einfach. Sie war es müde, zu kämpfen.
    Sie erreichte Georgetown, das im Regen fast verlassen wirkte. Als sie die K Street entlangfuhr, musterte sie die geparkten Autos am Straßenrand. Alles schien normal. Also suchte sie sich einen Parkplatz auf der Straße, weil die Tiefgarage zwölf Dollar für die ersten drei Stunden kostete.
    Die Kanzlei lag nur eine Querstraße weiter, aber trotzdem war sie patschnass, als sie dort ankam. Auf der Toilette tupfte sie sich zunächst einmal das tropfende Haar mit Papiertaschentüchern trocken. Auch ihr Kleid war mehr als nur feucht, aber dagegen konnte sie nichts tun, und außerdem kaschierte die Farbe die Nässe.
    Als sie an Bettes Minibüro vorbeikam, sah sie, dass sie konzentriert bei der Arbeit war, irgendetwas in die Tastatur haute, dabei ins Telefon sprach, während gleichzeitig der Drucker summte. Adrienne klopfte im Vorbeigehen an die Tür, und Bette drehte sich um, hob grüßend eine Hand, zog die Augenbrauen hoch und hauchte ein lautloses »Hi!«.
    Adrienne hängte ihre Jacke auf, setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Während der Rechner hochfuhr, zog sie die oberste Schublade auf, in der sie für Notfälle einen Wasserkocher und ein Glas Instantkaffee aufbewahrte. Sie ging auf den Gang, um den Wasserkocher zu füllen, und als sie zurückkam, wartete Bette auf sie.
    »Wo warst du, Scout?«
    »Wieso?«, fragte Adrienne und stöpselte den Kocher ein.
    »Gestern! Das ganze Dream-Team ist hier und kaut die Wunder der Härtungszeiten von Asphalt durch, und du bist — wo? Verschwindest zum Lunch, und jetzt haben wir Sonntag! Was war los?«
    Sie überlegte, was sie sagen sollte und was nicht. Es war heikel und zugleich schrecklich, weil sie ihr nun mal nicht von Bonilla und Duran erzählen konnte, ohne wie eine Verrückte zu wirken. Aber sie konnte auch nicht lügen, weil die Wahrheit irgendwann ans Licht kommen würde. Ans Licht kommen musste. Adrienne wollte es so. Bis dahin ... »Es ist im Augenblick alles wirklich sehr kompliziert.«
    Bette klappte der Unterkiefer runter.
    »Tasse Kaffee?«, fragte Adrienne.
    Bette zwinkerte, kostete den Moment weidlich aus. Schließlich sagte sie: »Okay ... also, wann hat Slough dich erreicht?«
    Adrienne löffelte glänzende Kaffeekörnchen in zwei Pappbecher. »Mich erreicht?«
    Bette erbleichte. »Du meinst — du hast noch gar nicht mit ihm gesprochen? Ach du meine Güte. Warst du denn zwischendurch nicht zu Hause?«
    Adrienne blickte finster. »Eigentlich nicht.«
    »Na ja, ich hoffe, er war es wert«, sagte Bette, »wer auch immer es war, weil nämlich ... hast du denn nicht mal deine Nachrichten abgehört?«
    Adrienne schüttelte zum zweiten Mal den Kopf.
    Bette schlug die Augen zur Decke und seufzte. »Tja also, er hat, wir haben jede Menge Nachrichten für dich hinterlassen.«
    Verdammt. Adrienne blieb kurz das Herz stehen, und sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Schließlich platzte sie heraus: »Nun sag schon, was ist los?«
    Bette kicherte nervös über Adriennes vermeintliche Gleichgültigkeit. »Also, in San Diego hat es irgendeinen Super-GAU gegeben.

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