Gefahrenzone (German Edition)
vor zwölf Uhr Mittag gewählt, wo auch in Mong Kok am meisten los war, weil er hoffte, in der dichten Menge nicht weiter aufzufallen.
Bei seinen Einsätzen folgte Adam seit jeher einem einfachen Motto: »Verkaufe dich richtig!« Ob er nun einen Obdachlosen oder einen hippen Börsenhändler an der Hong Kong Stock Exchange mimte, versenkte sich Adam immer vollkommen in seine Rolle. Dies ermöglichte es ihm, Gebäude ohne die nötige Legitimation zu betreten und wieder zu verlassen oder an Triaden-Gangstern vorbeizugehen, ohne deren Aufmerksamkeit zu erregen. Dadurch konnte er auch schon einmal Sekretärinnen belauschen, die in ihrer Mittagspause vor einem Imbiss anstanden, um sich Tee und Nudeln zu besorgen, und dabei über ihre Arbeit plauderten. Manchmal erfuhr er dabei mehr über ein Unternehmen und seine Geheimnisse, als wenn er am Wochenende in dessen Büros eingebrochen wäre und die Aktenschränke durchsucht hätte.
Adam war ein Schauspieler, ein Trickser, eben ein geborener Spion. Und jetzt verkaufte er sich wieder einmal richtig. Er hatte eine Reihe von Dietrichen in der Hand, kämpfte sich in das Postamt hinein, ging direkt zu Zha Shu Hais Postfach hinüber und kniete sich hin. Von den Männern und Frauen, die auf beiden Seiten nur ein paar Zentimeter von ihm entfernt waren, beachtete ihn keiner auch nur eine Sekunde lang.
Yao knackte das Schloss in weniger als zehn Sekunden. Er griff mit der Hand hinein und fand zwei Postsendungen, einen Geschäftsumschlag und ein kleines Päckchen, das offensichtlich einen in Luftpolsterfolie eingepackten Gegenstand enthielt. Er holte beide Sendungen heraus, drückte die Postfachtür zu, zog den Dietrich heraus, der die Zacken an der Zuhaltung offen hielt, wodurch die Tür sofort wieder verschlossen war.
Eine Minute später stand er draußen auf der Straße. Er vergewisserte sich, dass er nicht beschattet wurde und ihm keiner aus dem Postamt gefolgt war. Danach stieg er in die nächste U-Bahn-Station hinunter und fuhr zurück zu seinem Büro auf Hong Kong Island.
Dort zog er sich sofort um. In Anzug und Krawatte setzte er sich an den Schreibtisch, nachdem er das Päckchen und den Umschlag in das Gefrierfach des kleinen Kühlschranks gelegt hatte, der direkt neben seinem Schreibtisch stand. Nach einer Stunde holte er den Umschlag heraus und öffnete ihn mit einem scharfen Messer. Der Kleber war inzwischen hart gefroren. Das Messer konnte ihn deshalb jetzt durchtrennen, ohne das Papier zu zerreißen. Dies machte es auch einfacher, den Umschlag wieder zu verschließen, wenn er aufgetaut war.
Als Adam ihn geöffnet hatte, las er erst einmal die Adresse und den Absender auf der Außenseite. Laut Stempel war er in Festlandchina in einer Stadt in der Provinz Shanxi abgeschickt worden, die Yao nicht kannte. Die handgeschriebene Adresse lautete nicht auf Zha Shu Hai, sondern auf sein Postfach. Der Absender war offensichtlich ein Frauenname. Er notierte ihn sich auf einem Notizblock, der auf seinem Schreibtisch lag, und griff in den Umschlag hinein.
Er war etwas überrascht, darin einen zweiten Umschlag zu finden. Dieser trug überhaupt keine Aufschrift. Er öffnete ihn auf die gleiche Weise wie den ersten. Drinnen lag ein Brief auf Mandarin, den jemand mit zittriger Hand geschrieben hatte. Adam las ihn in aller Eile durch. Bereits im dritten Absatz verstand er, worum es ging.
Der Brief stammte von Zhas Großmutter. Offensichtlich lebte sie in den Vereinigten Staaten und hatte diesen Brief an eine Verwandte in der Provinz Shanxi geschickt, um die US Marshals nicht aufmerksam zu machen, von denen sie wusste, dass sie ihren Enkel jagten.
Die Verwandte aus Shanxi hatte ihn dann zu diesem Postfach weitergeschickt, ohne irgendeine eigene Notiz hinzuzufügen.
Die Großmutter erzählte von ihrem Leben in Nordkalifornien, von einer kürzlich erfolgten Operation, von anderen Familienangehörigen und einigen alten Nachbarn. Am Schluss bot sie Zha an, ihm etwas Geld zu schicken und ihn mit anderen Familienmitgliedern in Kontakt zu bringen, die seit seiner Ankunft in China vor einem Jahr nichts mehr von ihm gehört hätten.
Es war der typische Brief einer Großmutter. Adam erfuhr durch ihn nur, dass eine kleine alte chinesische Lady in den Staaten einem gesuchten Flüchtling ihre Unterstützung anbot, was nicht weiter erstaunlich war, da es sich um ihren Enkel handelte.
Er legte den Umschlag und den Brief zur Seite und holte das Päckchen aus dem Gefrierfach. Es war nicht größer
Weitere Kostenlose Bücher