Gefahrenzone (German Edition)
in den weichen, feuchten Sand eingesunken, und das Wasser umspülte bei jeder neuen Welle seine Füße, manchmal bis hinauf zu den Knöcheln. Dabei berührte es beinahe den Stoff seiner Hose, die er aufgekrempelt hatte, damit sie nicht nass wurde.
Wei sah wirklich nicht wie ein gewöhnlicher Strandgänger aus. Er trug ein weißes Pinpoint-Oxford-Hemd und eine Regimentskrawatte. Sein Sakko hatte er sich über die Schulter gehängt, während er aufs Meer hinausschaute und das blaugrüne Wasser bewunderte, das in der Mittagssonne glänzte.
Es war ein strahlend schöner Tag. Wei ertappte sich bei dem Wunsch, mehr als einmal im Jahr hierherkommen zu können.
Hinter ihm rief eine Stimme: »Zongshuji?« Das war einer seiner Titel, »Generalsekretär«. Obwohl Wei auch Staatspräsident war, hielten seine Mitarbeiter seine Rolle als Generalsekretär der Kommunistischen Partei für sehr viel wichtiger.
Die Partei war eindeutig wichtiger als die Nation.
Wei ignorierte die Stimme und schaute lieber zu den beiden grauen Schiffen etwa anderthalb Kilometer vor der Küste hinaus. Es handelte sich um zwei 062C-Küstenpatrouillenboote, die bewegungslos auf dem stillen Wasser dümpelten, während ihre Kanonen und Flakgeschütze in den Himmel gerichtet waren. Sie sahen stark, eindrucksvoll und Unheil bringend aus.
Auf Wei wirkten sie jedoch irgendwie unzulänglich. Der Ozean und der Himmel waren beide riesig und steckten voller Bedrohungen. Wei wusste, dass er mächtige Feinde hatte.
Tatsächlich fürchtete er, dass sich die Liste seiner Feinde nach dem bevorstehenden Treffen mit dem obersten Militärbefehlshaber seines Landes noch vergrößern würde.
D as mächtigste Gremium der Volksrepublik China war der neunköpfige Ständige Ausschuss des Politbüros, der die Richtlinien der Politik für diese Nation mit ihren 1,4 Milliarden Einwohnern festlegte. Jedes Jahr im Juli verließen die Führer der KPCh sowie Dutzende, wenn nicht Hunderte von Adjutanten und Sekretären ihre Büros in Peking und reisten dreihundert Kilometer nach Osten in den ruhig gelegenen Badeort Beidaihe.
Manche behaupteten, dass in den kleinen Sitzungsräumen der eher unscheinbaren Bauten in den Wäldern und entlang den Stränden mehr strategische Entscheidungen über die Zukunft Chinas getroffen wurden als in Peking selbst.
Bei der diesjährigen Sommertagung des Ständigen Ausschusses waren die Sicherheitsvorkehrungen strenger denn je. Dafür gab es gute Gründe. Präsident und Generalsekretär Wei Zhen Lin hatte zwar dank der Unterstützung des Militärs seine Macht behalten, aber der Volkszorn gegen die Partei wurde immer stärker. In mehreren Provinzen hatte es Massenproteste und Aktionen des zivilen Ungehorsams in einer Größenordnung gegeben, wie man sie so seit dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz im Jahr 1989 nicht mehr erlebt hatte. Darüber hinaus hatte man zwar die Verschwörer, die den gescheiterten Staatsstreich geplant hatten, verhaftet und ins Gefängnis geworfen, aber viele ihrer Anhänger und Helfer bekleideten immer noch hohe Stellungen. Wei fürchtete einen zweiten Putschversuch mehr als alles andere.
In ihrer über neunzigjährigen Geschichte war die KPCh noch nie so gespalten gewesen wie gegenwärtig.
Vor einigen Monaten war Wei kurz davor gewesen, sich selbst eine Kugel ins Hirn zu jagen. In den meisten Nächten schreckte er schweißgebadet aus dem Schlaf auf, wenn er in schlimmen Albträumen diese Augenblicke nacherlebte. Auch tagsüber wurde seine Paranoia immer stärker.
In Wirklichkeit war Wei ungeachtet seiner Ängste im Moment besser geschützt denn je. Die Streitkräfte und Geheimdienste seines Landes gaben jetzt nämlich besonders gut auf ihn acht. Er stand in ihrer Schuld und musste deswegen nach ihrer Pfeife tanzen. Deshalb wollten sie unbedingt vermeiden, dass ihm etwas zustieß.
Dies war für ihn allerdings kein allzu großer Trost. Er wusste, dass die Volksbefreiungsarmee sich jeden Augenblick gegen ihn wenden konnte und seine Beschützer dann zu seinen Henkern werden würden.
Die Beidaihe-Konferenz war am Tag zuvor zu Ende gegangen, und die meisten Teilnehmer waren bereits in den Smog und das Gewimmel Pekings zurückgekehrt. Der Präsident hatte jedoch seine Abreise um einen Tag verschoben, um sich mit seinem engsten Verbündeten im Politbüro zu treffen. Er musste mit General Su, dem Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission, einige wichtige Dinge besprechen. Er hatte den Ort des Treffens damit begründet, dass
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