Gefahrenzone (German Edition)
die Regierungsbüros in Peking inzwischen nicht mehr sicher genug seien, um solche Angelegenheiten zu bereden, da man dort ständig damit rechnen müsse, abgehört zu werden.
Wei setzte große Hoffnungen in dieses informelle Treffen, nachdem die Konferenz selbst ein Fehlschlag gewesen war.
Er hatte die Konferenzwoche mit einem offenen und schonungslosen Vortrag über den bedenklichen Zustand der chinesischen Wirtschaft begonnen.
Die Nachricht über den gescheiterten Putsch hatte nur noch mehr ausländische Investoren abgeschreckt und die Wirtschaft weiter geschwächt. Weis Gegner wendeten jetzt diese Tatsache gegen ihn und führten sie als Beweis dafür an, dass seine Öffnung des chinesischen Binnenmarkts China den Launen und der Willkür der kapitalistischen Hurennationen ausgeliefert habe. Hätte China seine Autarkie befördert und nur mit gleichgesinnten Nationen Handel getrieben, wäre seine Wirtschaft jetzt nicht so verwundbar.
Wei hörte diesen Aussagen seiner politischen Feinde mit unbewegtem Gesicht zu. Allerdings hielt er ihre Behauptungen für idiotisch und sie selbst für Narren. China hatte vom Welthandel in außerordentlichem Maße profitiert. Hätte es sich in den letzten dreißig Jahren nach außen abgeschottet, während sich die Wirtschaft weltweit auf atemberaubende Weise entwickelte, würden die Chinesen jetzt wie die Nordkoreaner Dreck fressen oder, wahrscheinlicher, das Proletariat hätte Zhongnanhai gestürmt und sämtlichen Männern und Frauen in den Regierungsbehörden den Garaus gemacht.
Seit dem Putschversuch hatte Wei, meist im Geheimen, unermüdlich an einem neuen Plan gefeilt, wie man die Ökonomie seines Landes wieder auf die rechte Bahn bringen könnte, ohne dabei seine Regierung zu kompromittieren. Seine Ideen hatte er auf der Sommertagung des Ständigen Ausschusses vorgetragen, wo sie jedoch rundheraus abgeschmettert wurden.
Seine Genossen gaben Wei deutlich zu verstehen, dass sie ihn für die Wirtschaftskrise verantwortlich machten und dass sie auf keinen Fall seinen Plan unterstützen würden, die Ausgaben, Löhne und Sozialleistungen zu kürzen, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu vermeiden.
Wei wusste also seit dem gestrigen Ende der Beidaihe-Konferenz, dass er seine eigentlichen Absichten nicht durchführen konnte.
Heute würde er jedoch die Grundlage für seinen Plan B legen. Er war sich sicher, dass dieser funktionieren würde, auch wenn er seinem Land mehr abverlangte als ein kurzfristiger Entwicklungsstopp.
Während er seine Gedanken wandern ließ, meldete sich hinter ihm erneut diese Stimme: »Genosse Generalsekretär!«
Wei drehte sich um und sah den Rufer mitten zwischen seinen Sicherheitsleuten stehen. Es war Cha, sein Sekretär.
»Ist es Zeit?«
»Man hat mir gerade gemeldet, dass der Vorsitzende Su eingetroffen ist. Wir sollten zurückkehren.«
Wei nickte. Er wäre gern den ganzen Tag in Hemdsärmeln und mit aufgekrempelten Hosenbeinen hier am Strand geblieben. Aber er hatte etwas Wichtiges zu erledigen, das keinen Aufschub duldete.
Er ging den Strand hinauf, zurück zu seinen Verpflichtungen.
W ei Zhen Lin betrat ein kleines Konferenzzimmer, das direkt neben seiner Ferienwohnung lag. Der Vorsitzende Su Ke Qiang wartete bereits auf ihn.
Die beiden Männer umarmten sich flüchtig. Dabei spürte Wei, wie die Orden auf General Sus Uniform auf seine Brust drückten.
Wei mochte Su nicht, aber ohne ihn wäre er nicht mehr an der Macht. Ohne Su wäre er wahrscheinlich nicht einmal mehr am Leben.
Nach ihrer oberflächlichen Umarmung lächelte Su und setzte sich an einen kleinen Tisch, der mit einem kunstvollen chinesischen Teeservice gedeckt war. Der große General – Su maß immerhin über 1,82 Meter – goss sich und seinem Gastgeber Tee ein, während ihre beiden Sekretäre auf Stühlen an der Wand Platz nahmen.
»Vielen Dank, dass Sie noch geblieben sind, um mit mir zu sprechen«, sagte Wei.
»Das war doch eine Selbstverständlichkeit, Tongzhi .«
Zuerst plauderten sie eine gewisse Zeit über die anderen Mitglieder des Ständigen Ausschusses und den Ablauf der Sommertagung. Schon bald wurden Weis Augen jedoch hart und ernst. »Genosse General, ich habe unseren Kollegen die katastrophalen Folgen klarzumachen versucht, die zu erwarten sind, wenn wir nicht sofort entscheidende Maßnahmen ergreifen.«
»Das war für Sie eine schwierige Woche. Sie wissen ja, dass Sie die volle Unterstützung der Volksbefreiungsarmee genießen, und meine eigene, wenn
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