Gefahrliches Vermachtnis
wo sie häufig entlangmusste.
Nicky hatte ihm einen Lederstuhl und bestickte Kissen für die Wohnung geschenkt, aber am Dock hatte sie ihm noch ein anderes Geschenk in die Manteltasche geschmuggelt. Er hatte es an Bord geöffnet. Es war das goldene Medaillon, das sie so viele Jahre an ihrem Herzen getragen hatte. Das Medaillon mit dem Foto seiner Mutter.
Hugh hatte es an seiner Uhrkette befestigt. Auf dem Weg nach Washington ertappte er sich häufig dabei, mit den Fingern über die Konturen zu streichen. Er hatte Aurore nicht geschrieben, dass er nach Hause kommen würde. Nachdem er seine Geschäfte erledigt hatte, wollte er einen Zug nach New Orleans nehmen, um sie zu überraschen. Da er nie eine Antwort auf seine Briefe erhalten hatte, wusste er nicht, was ihn bei ihrem Wiedersehen erwartete. Ferris’ Reaktion hätte Hugh sich nicht einmal in den schlimmsten Albträumen so vorgestellt. Seitdem war das Vertrauen in seine Mutter ebenfalls erschüttert.
Als er das Büro erreichte, bat ihn die Empfangsdame, zuwarten, bevor sie ihn in ein kleines Büro am Ende eines Labyrinths aus Gängen führte.
Seine Mutter stand am Fenster. Außer ihr war niemand da. Sie drehte sich um, begrüßte ihn aber nicht. Ihre Wangen waren tränennass.
„Mamere?“ Er rührte sich nicht vom Fleck, während er zu begreifen versuchte, was hier gespielt wurde.
„Hugh.“ Aurore stand ebenfalls reglos da.
In den Jahren seiner Abwesenheit war sie gealtert. Sein Herz schlug kräftig, aber er war unfähig, sich zu bewegen. Sie wirkte so unglücklich, und er fürchtete, sie könnte zerbrechen, wenn man ihr zu nahe kam. „Was ist hier los?“
„Du bist heil angekommen. Ich hatte solche Angst …“
„Wir wurden eskortiert. Mamere, was ist los? Was machst du hier?“
„Ich überlege schon seit Wochen, wie ich es dir beibringen soll. Aber ich weiß es immer noch nicht.“
Der Raum war klein und vollgestopft mit Kisten. Er deutete auf zwei Stühle in einer Ecke, weil er fürchtete, sie könne jeden Moment zusammenklappen. Sie setzten sich. Aurore starrte ihn wortlos an. Sie hielt ihm nicht einmal die Wange zum Kuss hin.
„Sag mir, was los ist!“, bat er leise.
„Dann wirst du mich hassen.“
„Das ist unmöglich!“
„Du wirst mich zu Recht hassen. Ich habe es nicht anders verdient.“
„Warum sagst du mir nicht erst einmal, was los ist, und dann sehen wir weiter. Vielleicht irrst du dich ja.“
„Wenn es nur so wäre!“ Sie begann zu weinen. Er wollte ihr die Hand reichen, aber sie wich ihm aus. „Hugh, ich habe dich kaputt gemacht!“
„Geht es um Nicky? Hat Ferris dir geschrieben?“
„Ferris?“ Sie wirkte irritiert.
Sein Mitgefühl wuchs. „Was musst du mir unbedingt sagen?“
„Ich habe deine Briefe bekommen.“
Er lehnte sich zurück und war davon überzeugt, die Ursache ihrer Aufregung zu kennen. „Nicht du auch noch! Hast du mich den ganzen Weg von Marokko hierherkommen lassen, um mich zu überzeugen, dass ich Nicky nicht heiraten soll? Das kannst du nämlich nicht.“
„Oh Gott, sag nicht, dass du es schon getan hast?“
„Noch nicht, aber an mir lag es nicht.“
„Dann will sie nicht?“
„Sie wartet ab.“ Nach Ferris’ Besuch hatte Hugh Nicky einen Heiratsantrag gemacht, aber sie hatte abgelehnt. Hugh war sich immer noch nicht im Klaren darüber, weshalb. Er hatte sie mehrfach gefragt, ob etwas vorgefallen war, das sie nun zögern ließ, aber sie hatte ihm nie direkt darauf geantwortet. Sie hatte nur darauf bestanden, dass sie noch warten sollten, weil sie absolut sicher sein wollte. Seine Beteuerungen genügten ihr nicht.
„Du kannst sie nicht heiraten, Hugh.“
„Ich kann und ich werde sie heiraten.“ Angewidert vom Verhalten seiner Familie, erhob er sich. „Von dir hätte ich wirklich etwas anderes erwartet! Vielleicht hat Ferris seine Vorurteile doch nicht nur von unserem Vater.“
„Setz dich!“
„Warum? Damit du mir sagen kannst, wie du mich von Marokko hierher gelotst hast, um mich zu überzeugen, dass ich einen Fehler mache? Bist du zur Leitung des Geheimdienstes gegangen und hast um Hilfe gebeten? Hast du den Grund dafür angegeben?“
„Ich habe niemandem etwas gesagt! Und du kennst den Grund auch nicht!“ Sie begann erneut zu weinen.
Irgendetwas in ihm zerbrach. Bis er Nicky getroffen hatte, hatte er nur zwei Menschen wirklich geliebt: seine Mutter und Ferris. Nun war Ferris nicht mehr in seinem Leben und seine Mutter schluchzte. Und all das, weil er eine Frau
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