Gefahrliches Vermachtnis
mir Trost, bevor ich ihn brauche?“
„Dawn, ich habe eine Menge Fehler gemacht, die ich bereue. Ich bin nicht perfekt, und ich versuche nicht einmal, es zu sein. Im Augenblick probiere ich nur, dir meine Unterstützung anzubieten.“
„Warum? Falls du versuchst, für vergangene Sünden zu büßen, bist du an der falschen Adresse. Der einzige Gerritsen, der das Recht gehabt hätte, dir die Absolution zu erteilten, ist in Bonne Chance gestorben.“
„Verdammt, Dawn! Hör endlich auf mit den Spielchen!“
Sie sah, dass sie ihn verletzt hatte. Dabei war ihr nicht einmal klar gewesen, dass sie dazu überhaupt in der Lage war. Ein Hochgefühl erfüllte sie, aber es wurde rasch von Scham verdrängt. Sie benahm sich wie ein Kind in der Sandkiste. Ständig strengte sie sich an, ihre Reife zu beweisen – nur nicht bei Ben oder ihren Eltern. Bei ihnen war sie immer noch das kleine Mädchen, verletzt und nachtragend.
„Wir sind hier morgen fertig und dann können wir wieder in unser echtes Leben zurück“, murmelte sie.
„Dies hier ist das echte Leben. Hast du es noch nicht begriffen? Deine Großmutter hat gesehen, was sich hier im Zentrum unseres Lebens abspielt. Und sie wollte, dass wir es wissen.“
„In meinem Leben vielleicht.“
„In meinem auch. Oder hätte man mich sonst hierher gebeten?“
„Bis jetzt betrifft noch nichts von dem, was wir erfahren haben, dein Leben auch nur im Geringsten.“
„Aber wir haben noch heute und morgen.“
Das kranke Gefühl in ihr verstärkte sich. „Du glaubst, da kommt wirklich noch mehr?“
„Ich habe das Tagebuch deines Onkels fast fertig gelesen. Soll ich dir sagen, was ich erfahren habe?“
Dawn war noch nicht bereit für weitere Enthüllungen, obwohl sie anders als ihr Vater nicht davon ausging oder wollte, dass die Welt sich nicht veränderte. Dennoch hatte sie jeden Morgen seit der Ankunft auf Grand Isle die Augen aufgeschlagenund ihre Welt kaum noch wiedererkannt. So langsam begriff sie, dass die von ihr so vergötterte Großmutter eine Fremde gewesen war.
Sie pflückte eine Magnolie und freute sich über die winzigen Tautropfen, die von den Blütenblättern abperlten. Unter diesem Baum hatte sie schon als Kind gestanden und den kühlen, feuchten Sommerregen genossen. Sie hob den Kopf und schloss die Augen. „Na gut. Was hast du erfahren?“
„Weißt du, was dein Onkel während des Kriegs gemacht hat?“
„Ich nehme es an, habe aber nie darüber nachgedacht. Kaplan beim Militär?“
„Nein. Zu der Zeit war er noch nicht Priester. Während des Kriegs waren er und Nicky in Marokko. Sie haben für den Geheimdienst gearbeitet.“
Ben stand sehr dicht neben Dawn. Er nahm die Brille ab. Tautropfen benetzten seine Lider. „Onkel Hugh hat nie darüber gesprochen“, erwiderte sie.
Ben fasste Nickys und Hughs Geschichte kurz für Dawn zusammen. Sie war erstaunt über das Mitgefühl in seinem Blick. Als er fertig war, starrte sie über seine Schulter zum Cottage hinüber. Die Geschichte, die ihr Vater über Nicky und einen Mann erzählt hatte, ergab plötzlich einen Sinn. Der Mann war sein eigener Bruder gewesen. Aber Hugh hatte Casablanca nicht wegen Ferris verlassen, sondern wegen Aurores schrecklichem Geheimnis.
„Ich glaube, danach wollte Pater Hugh sterben“, sagte Ben. „Er begab sich freiwillig in Gefahr und ging in den Widerstand nach Lyon. Es klingt, als ob er alles getan hätte, was ein Mann tun kann, der sein Leben beenden will, ohne sich selbst zu töten. Und als er nach dem Krieg immer noch am Leben war, kehrte er nach Hause zurück und ging zu den Männern, die ihm die Priesterweihe verweigert hatten. Diesmal glaubten sie, dass er bereit dafür war.“
Dawns Augen füllten sich mit Tränen. Sie konnte sich höchstensansatzweise vorstellen, wie ihr Onkel sich gefühlt haben mochte. „Und was geschah mit Nicky?“
„Ich kenne ihre Geschichte von Phillip. Nicky ging nach Frankreich zurück, obwohl man ihr am Ende sogar einen amerikanischen Pass wegen ihrer Arbeit für die Regierung ausgestellt hatte.“ Er fasste den Rest schnell zusammen.
„Und sie hat nie gewusst, weshalb Onkel Hugh …?“
„Bis heute nicht. Sie hatte vermutlich geglaubt, dass Pater Hugh sie wegen ihrer Hautfarbe verlassen hatte. Sie hat ihn nie wiedergesehen, nicht einmal, nachdem sie in New Orleans lebte. Aber da war sie auch schon glücklich verheiratet und vorsichtig genug, sich von ihm fernzuhalten. Sie hat Phillip nicht einmal erzählt, dass Pater Hugh der
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