Gefahrliches Vermachtnis
hatte.“
„Annie?“
„Sie war wütend auf ihren Vater, weil er ihr die Chance genommen hatte, aus Bonne Chance rauszukommen. Sie war vielwütender, als wir ahnten. Aber Haines wusste es – die Frau, für die Annie arbeitete, hatte es ihm gesagt. Also versprach er Annie, dass ihr Vater seinen Job wiederbekommen würde, wenn sie ihn von Zeit zu Zeit mit Informationen versorgte. Sie könne die Schule besuchen, hatte er gesagt. Sie hatte ihn nur unbedeutende Dinge wissen lassen, Dinge, von denen sie glaubte, dass sie niemandem schaden würden. Ich glaube, sie wollte sich an Lester rächen.“
„Sie konnte nicht wissen, was passieren würde!“
„Ihr war nicht bewusst, wie wichtig diese Zusammenkunft war“, sagte Ben. „Annie sah keinen Unterschied zu den Zusammenkünften in ihrem Haus. Nachdem alles vorbei war und sie begriff, was sie getan hatte, ist sie zu Haines gegangen. Vermutlich war sie ziemlich aufgelöst. Sie wollte wissen, ob er dafür verantwortlich war. Er sah wohl keinen Grund dafür, ihr nicht die Wahrheit zu sagen. Da er ihre Rolle in diesem Spiel kannte, glaubte er nicht, dass sie es wagen würde, jemandem davon zu erzählen. Außerdem – was zählte schon das Wort eines schwarzen Mädchens? Also hat er ihr gesagt, dass er alles ganz genau so geplant hatte. Annie gestand ihrer Mutter alles und dann sind sie zu mir gekommen. Und sie hat mir noch etwas gesagt.“ Ben machte eine Pause. „Dein Vater hatte am Tag vor diesem Ereignis stundenlang mit Largo Haines zusammengesessen.“
„Haines hatte meinen Vater wegen der Verhaftungen vorgewarnt. Das ist alles. Aber du …“ Sie holte tief Luft. „Du hast Annie zugehört, und das hat dir gereicht, um davon überzeugt zu sein, dass ich im Unrecht bin. Du dachtest … du dachtest, dass es mir egal war, dass man euch alle ohne Vorwarnung angriff. Wie konntest du nur jemals so etwas von mir denken, Ben?“
Er schwieg. Sie kam näher. „Ich sag es dir: Du hast mir nie wirklich vertraut. Ich war Hugh Gerritsens Nichte, aber das zählte nicht. Stattdessen hast du dich auf das Einzige konzentriert, woran ich nichts ändern kann: dass ich Ferris GerritsensTochter bin. Und das wird so bleiben, bis ich sterbe. Das ist das Einzige, was du in mir siehst. An dem Nachmittag, als du mich beschuldigt hast, für den Tod meines Onkels verantwortlich zu sein, hattest du vergessen, wie sehr ich ihn geliebt habe!“
Ben packte sie an den Händen. „Nein! Ich sage dir, wie es wirklich war. Ich habe es gehasst, mit ansehen zu müssen, wie du gegen all diesen Druck angekämpft hast, der an dir gezerrt hat – weil ich gegen das Gleiche angekämpft habe.“
„Gegen welche Zwänge musstest du denn ankämpfen? Du warst doch perfekt!“
„Dawn, ich bin letzten Sommer jeden Morgen voller Angst aufgewacht. Ich hatte Angst, weil ich das Ende des Tages nicht sehen konnte, und fürchtete, dass ich den Schwanz einziehen und weglaufen würde. Ich wusste, woran ich glaubte, aber ich wusste nicht, ob ich stark genug bin, um dafür zu kämpfen. Als Haines und seine Männer mich auf der Straße angehalten haben, war ich kurz davor, ihm zu versprechen, dass ich Bonne Chance für immer verlassen würde. Und das hat mir noch mehr Angst gemacht als alles andere.“
Dawn versuchte, ihm ihre Hände zu entziehen, aber er hielt sie fest. „Verstehst du denn nicht?“, fragte er. „Ich konnte deine eigenen Kämpfe nicht ertragen, weil sie meinen eigenen Kämpfen glichen. Und am Ende konnte ich deine Schwächen nicht ertragen, weil meine Schwächen noch schlimmer waren.“
Sie schwieg.
„Da ist noch etwas“, fuhr er fort. „Nach der Sache, die mir damals bei dieser Straßensperre passiert ist, wusste ich, dass es in jener Nacht zur Konfrontation kommen würde. Also rief ich dich an, um dich zu bitten, nicht nach Bonne Chance zu kommen. Ich hatte selbst schon so viel Angst. Ich hätte es nicht ertragen können, auch noch um dich Angst zu haben.“
„Du hast angerufen, um mich zu bitten, nicht nach Bonne Chance zu kommen?“
„Ich wollte dich anflehen, aber ich konnte dich nicht ans Telefon bekommen. Ich war so dankbar, als du nicht in derKirche warst.“
„Was hättest du getan, wenn du von den geplanten Verhaftungen gewusst hättest, Ben?“ Sie rückte mit flehendem Blick näher an ihn heran. „Wärst du hingegangen? Wärst du imstande gewesen, meinen Onkel zu bitten, die Zusammenkunft abzusagen?“
„Ich wäre hingegangen und Pater Hugh auch. Niemand wäre deshalb
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