Gefahrliches Vermachtnis
schließlich wieder angezogen waren, verschwand diese Intimität.
„Dawn, tut es dir leid?“ Ben blickte ihr ins Gesicht.
„Dass wir miteinander geschlafen haben? Nein.“
„Was dann?“
Während sie sich bemühte, ihre Gefühle in Worte zu fassen, fiel ihr auf, dass der Regen an Heftigkeit gewonnen hatte. „Wir haben ein Jahr verloren und wir haben uns beide verändert. Aber ich fühle mich immer noch genauso, wenn ich mich zwischen Onkel Hugh und Daddy entscheiden muss.“
Er küsste ihr die Hand und presste ihre Handfläche gegen seine Wange. „Ich versteh dich nicht.“
„Kannst du mir erklären, was es dir bedeutet, mit mir zu schlafen?“
„Es bedeutet, dass wir immer noch eine Chance haben.“
„Haben wir das? Steht da nicht immer noch etwas zwischen uns?“ Er ließ ihre Hand los. Sie drehte sich von ihm weg und knöpfte sich die Bluse zu. „Du sagst, dass du mir vergeben hast. Und dass du mir alles glaubst, was ich dir erzählt habe.“
„Und das sage ich auch noch mal. Ich habe dir schon geglaubt, bevor du mir davon erzählt hast. Ich weiß schon seit Langem, dass du nichts mit dem Tod deines Onkels zu tun haben kannst.“
„Aber du denkst immer noch, dass mein Vater etwas mit der Sache zu tun hat.“
Ben schwieg sehr lange. Dawn wusste, dass er sich seine Antwort sorgfältig zurechtlegte. „Ich verlange nicht von dir, dass du mir glaubst.“
Sie sah ihn an. „Aber solange ich dir nicht glaube, wirst du dich über mich wundern. Siehst du das nicht ein, Ben? Bevor ich mich nicht von meinem Vater abwende, wirst du mir niemals ganz vertrauen.“
„Ich verlange nicht, dass du dich von ihm abwendest. Kann ich nicht einfach dir vertrauen und ihm nicht?“
„Nicht solange ich ihn immer noch liebe.“
Ben wollte ihr sagen, dass sie sich irrte. Sie beobachtete ihn, während er nach einer Formulierung suchte, die sie davon überzeugenwürde, dass Ferris für ihn keine Rolle spielte. Aber diese Worte gab es nicht.
Als er zu lange geschwiegen hatte, straffte sie den Rücken und wischte sich den Rock mit zitternden Händen sauber. „Ich kann nicht zwischen dir und meinem Vater wählen. Das letzte Mal, als ich mich zwischen zwei Menschen entscheiden musste, die ich liebe, ist jemand gestorben.“
„Du bist gerade dabei, dich zu entscheiden. Du bist dabei, mich einfach stehen zu lassen.“
„Nein. Vielleicht kehre ich alleine ins Haus zurück. Aber das hat damit nichts zu tun.“
In seinem Blick flackerte Wut auf. „Für mich fühlt es sich aber so an.“
Da verstand sie endlich, was sie unbedingt hatte verstehen wollen. Sie verstand, was der Regen ihr sagen wollte. Und warum es ihr solche Angst gemacht hatte, dass es so wundervoll gewesen war, mit ihm zu schlafen. Sie verstand plötzlich, weshalb Aurore entschieden hatte, ihre Geheimnisse zu lüften.
„Ich werde den Rest meines Lebens nicht mit Tauziehen verbringen wie meine Großmutter. Sie hat zugelassen, dass von allen Seiten an ihr gezerrt wurde, weil sie unbedingt geliebt werden wollte. Aber es hat nicht funktioniert. Und ich werde aus ihren Fehlern lernen.“
„Nur damit ich es recht verstehe: Willst du damit sagen, dass das mit uns ein Fehler wäre?“
„Nein. Ich sage nur, dass ich nicht wie meine Grandmère leben werde. Falls ich Entscheidungen treffen muss, treffe ich sie, weil ich es für richtig halte, und nicht, weil ich von dir oder meinem Daddy oder sonst wem geliebt werden will.“
„Willst du denn von mir geliebt werden?“
„Ich glaube nicht, dass du dazu in der Lage bist. Noch nicht.
Vielleicht wirst du es aber auch nie können.“
„Und was, wenn ich dir sage, dass ich dich bereits liebe?“
„Sag bitte nicht so was. Bitte mach es mir nicht noch schwerer.“
Er wollte sie in den Arm nehmen, aber sie wich ihm aus. Draußen wurde sie vom Regen durchnässt, aber es hatte keine reinigende Wirkung auf sie. Als sie zum Haus rannte, fiel der Regen noch stärker.
Ben wollte, dass dieses Affentheater sofort aufhörte. Zum ersten Mal hatte er das Bedürfnis, Spencer aufzusuchen und ihn zu bitten, diesen Zirkus zu beenden. Ben war ein Risiko eingegangen. Doch es war ihm unmöglich, die Lügen, die Dawn immer noch gefangen hielten, zu entlarven.
Am Nachmittag, bevor er zur garconnière gegangen war, hatte er Hugh Gerritsens Tagebuch zu Ende gelesen. Er wusste mehr, sehr viel mehr, als er Dawn erzählt hatte. Nun wusste er Dinge, die das ohnehin zerbrechliche Gleichgewicht im Cottage stören und die
Weitere Kostenlose Bücher