Gefahrliches Vermachtnis
und senkte den Kopf.
Ben wusste nicht, wie lange er dort gekniet hatte; die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Da berührte ihn etwas Warmes am Kopf. Pater Hugh stand vor ihm und segnete ihn. Ben spürte die Kraft, die von Pater Hugh ausging, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
Keiner der Männer sprach ein Wort. Sie verließen die Kirche schweigend.
Dawn weinte leise vor sich hin. Ben wollte sie in den Arm nehmen und an sich drücken, aber dann ließ er es lieber bleiben.
„Als wir zur Versammlung kamen, war ich von der Verschiedenheit der beiden Kirchen überrascht. Die Methodistenkirche war so schlicht und einfach, aber die Atmosphäre beider Kirchen war in jener Nacht gleich. Ich ging hinein, und plötzlich verspürte ich dasselbe Gefühl wie in dem Moment, als dein Onkel seine Hände auf meinen Kopf gelegt hatte. Der Weg verlief problemlos, und es war niemand dort,der nicht dorthin gehörte. Aber ich glaube, jeder wusste, dass dieser Friede nicht lange währen würde.“
Dawn wandte ihr Gesicht ab; das machte es Ben leichter. „Es war alles schnell vorbei. Der Prediger bat Pater Hugh, das Begrüßungsgebet zu sprechen. Wir saßen in der ersten Reihe. Er stand mit dem Gesicht zu uns. Es war sehr still. Dein Onkel begann zu sprechen und dann hörten wir plötzlich ein Getöse von draußen. Zuerst begriff ich nicht, was los war. Es klang fast wie der Wind. In meinen Albträumen klingt es immer noch so.“
Ben starrte auf die Wand und das Fenster, aber er sah nur wieder den Horror jener Nacht. „Die Türen der Kirche flogen auf, Männer strömten hinein. Zuerst dachte ich, es sei der Sheriff mit seinen Hilfspolizisten, doch dann wurde mir bewusst, dass niemand eine Uniform trug. Manche kamen mit leeren Händen, andere trugen Kreuze vor sich her. Ein Mann zielte mit dem Gewehr auf jeden, der sich ihm in den Weg stellte. Jemand brüllte uns an, dass wir die Hände über den Kopf heben sollten, aber die Männer, die ich erkannte, hatten nichts mit dem Gesetz zu tun. Ich sprang auf. In einem Gang sah ich, wie ein Mann sich mit Lester Narrows schlug. Ich lief zu Lester, aber jemand kam hinter mir her und stieß mich vorwärts. Ich erinnere mich noch, dass ich dachte: Das letzte Mal, als ich gekniet habe, war wesentlich besser.“
Ben betrachtete Dawns Profil. Sie war während des Zuhörens blasser geworden und sie sprach kein Wort.
„Jemand trat nach mir, aber nicht so heftig, dass ich umfiel. Die Leute schrien. Diese Männer hatten Gewehre und Kruzifixe und wir nichts. Alle versuchten zu fliehen. Ich hob den Kopf und sah jemanden nach Pater Hugh greifen. Er stand schweigend da und leistete überhaupt keinen Widerstand. Dann blockierte mir jemand die Sicht und ich hörte eine Gewehrsalve. Ich schaute an dem Mann, der mir die Sicht versperrte, vorbei und sah, wie sich Pater Hugh an die Brust griff. Ich machte instinktiv einen Satz nach vorne. Ich wollte, dass er sich auf den Boden legt. Ich weiß nicht, ob mir klar war, dassman ihn bereits getroffen hatte. Ich wollte einfach nur, dass er aus der Schusslinie geht. Ich habe mich vor ihn geworfen und spürte, wie etwas meine Schulter streifte. Ich dachte, jemand hat ein Kruzifix in mich gerammt.“
Ben wusste nicht, ob er die Geschichte zu Ende erzählen konnte, wenn er Dawns Profil weiter dabei ansah. „Pater Hugh sank zusammen. Er wirkte weder besonders überrascht noch schockiert, sondern ganz ruhig. Ich griff nach seiner Hand. Vermutlich versuchte ich immer noch, ihn zu schützen. Keine Ahnung. Aber ich fiel neben ihm auf die Knie und hielt seine Hand. Dann war es auf einmal sehr still. Die Rufe verstummten. Niemand schrie mehr. So, als ob alle abwarten würden. Ich beugte mich hinunter, weil ich dachte, dass Pater Hugh mir etwas sagen wollte, aber er drückte meine Hand an seine Wange. Da erst bemerkte ich, dass sein Hemd blutdurchtränkt war. Ich rückte näher an ihn heran und bat ihn durchzuhalten. Ich betete. Neben uns saß eine Frau, die weinte. Und dann stellte ich fest, dass Pater Hugh uns verlassen hatte.“
„Meine Großmutter hat es gespürt.“ Dawn rang nach Worten. „Ich auch. Vielleicht hatte ich es den ganzen Abend schon gewusst. Ich hatte mir selbst immer wieder einzureden versucht, dass es richtig gewesen war, Rücksicht auf meinen Vater zu nehmen, aber tief in mir wusste ich, dass es falsch gewesen war. Ich hatte solche Angst um euch alle. Alles, was Grandmère an jenem Abend zu mir sagte, schien meine Entscheidung zu
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