Gefahrliches Vermachtnis
meine Mutter.“
„Und an wen noch?“
„Hap.“ Nicky drehte sich abrupt nach ihm um. Jake kannte sie zu gut und Nicky hatte ihm nie etwas verheimlichen wollen – um keinen Preis. Er war kein eifersüchtiger Mensch. Er hatte auch nie einen Grund dafür gehabt. Wenn sie auf der Bühne stand, sehnten sich möglicherweise alle Männer im Publikum danach, mit ihr ins Bett zu gehen. Aber Jake wusste, dass er der Einzige war, nach dem sie sich sehnte.
„Ich habe in den letzten Tagen mehr ausgehalten, als eine Frau aushalten kann, dachte ich. Aber davon abgesehen ist es besser, endlich die Wahrheit zu kennen“, sagte sie. „Denn jetzt kann ich Hap wieder lieben – auf die Weise, die uns im echten Leben hätte vergönnt sein sollen. Verstehst du das?“
Jake breitete die Arme aus. Nicky durchquerte das Zimmer und schlüpfte neben ihn ins Bett.
Spencer war am nächsten Morgen schon früh auf den Beinen. Er hatte bisher in keiner Nacht im Cottage gut geschlafen. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er unter angenehmeren Umständen nach Grand Isle hätte reisen können. Er wäre gerne mit Aurore hierhergekommen, bevor sie Henry Gerritsen geheiratet hatte.
Aber das hatte sich nie ergeben. Aurore war an zwei Männer gebunden gewesen: an den einen durch Liebe, an den anderen durch Hass. Spencers Verbindung zu ihr war dagegen eher schwach. Dennoch war er es, der an Aurores Bett gesessen hatte, als sie dem Tod ruhig entgegentrat. Der Pastor, der ihr die Letzte Ölung gespendet hatte, war bereits weg gewesen. Ferris und Cappy waren gekommen und gegangen. Niemand hatte erwartet, dass Aurore das Bewusstsein noch einmal wiedererlangen würde. Aber sie hatte noch einmal die Augen geöffnet, so als ob sie nur darauf gewartet hätte, mit Spencer alleine zu sein.
Er hatte Aurore niemals als alt empfunden. Wenn er sie ansah, sah er das glatte, faltenlose Gesicht der Frau, in die ersich vor vielen Jahren verliebt hatte. Aurore hatte die Kraft zum Sprechen gefehlt und ihm vielleicht die Kraft, ihr zuzuhören. Er hatte gewusst, dass sie den Tod weniger fürchtete als das Leben. Sie war erleichtert, dass es nun bald vorbei war.
Spencer hatte ihr noch einmal versprochen, dass er alles so ausführen würde, wie sie es wünschte. Dann hatte er sich über das Bett gebeugt und sie auf die Stirn geküsst. Aurore hatte die Augen ein letztes Mal geschlossen und gelächelt.
Jetzt kämmte er das, was von seinen Haaren noch übrig war, und schlüpfte in seinen Anzug. Der Wind drückte mit aller Macht gegen das Haus und der Regen fiel wie eine graue Stahlwand vom Himmel und verdunkelte den sonst so schönen Blick auf die Bucht. Seit dem frühen Morgen hatte er vergeblich versucht, Radioempfang zu bekommen. Als er in der vorigen Nacht zu Bett gegangen war, wurde erwartet, dass der Orkan Betsy nach Nordwesten abziehen und erst in Texas auf Land treffen würde. Mit einer Windgeschwindigkeit von hundertfünfzig Stundenkilometern war Betsy aber wohl auch in der Lage, die Richtung zu ändern.
Unten murmelte Spencer einen Gutenmorgengruß. Nicky und Jake saßen im Esszimmer beim Frühstück, Ben und Phillip hörte er auf der Veranda. In der Küche war Pelichere dabei, ihm den Kaffee genauso zuzubereiten, wie er es am liebsten hatte. In den letzten Tagen hatte sie sich mit rührender Besorgnis um ihn gekümmert. Von den Anwesenden kannten nur Phillip und sie Aurores Geheimnisse. Doch Spencer fürchtete, dass selbst Pelichere von den heutigen Enthüllungen überrascht sein würde.
„Es ist bald vorbei“, sagte er zu ihr und sich selbst.
„Mir gefällt nicht, wie Dawn aussieht“, erwiderte Pelichere.
„Das war wohl alles sehr schlimm für sie.“
„Wissen Sie noch mehr über den Orkan?“
„Noch spricht man nicht über Evakuierung.“
„Man würde uns sicher rechtzeitig informieren.“
Pelichere lachte ihr typisches tiefes Lachen, das Spencer an bessere Zeiten erinnerte. „Wir sind hier auf Grand Isle!Glauben Sie, da macht sich irgendwer Sorgen um uns, Spencer? Sie werden die Männer von den Ölplattformen holen. Und wenn die Männer alle weg sind, werden sie denken: Ach ja, diese Cajuns auf Grand Isle müssen ja auch weg! Wir müssen sie holen. Zu dumm, dass wir nicht schon früher daran gedacht haben, als die Brücke noch stand.“
Spencer lächelte, aber sein Lächeln verschwand, als Ferris die Küche betrat. Eigentlich hatte er vermutet, dass Ferris das Cottage nach Pelicheres Schilderung verlassen würde; schließlich hatte er
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