Gefahrliches Vermachtnis
gleich den Verdacht, dass da etwas unter der Hand lief?“
Ferris knackte eine Krabbe und saugte das Fleisch aus der Schere. „Ja.“
Hugh schüttelte den Kopf. „Wie verschieden wir doch sind.“
„Und gerade hast du noch versucht, mich davon zu überzeugen,dass wir uns ähnlich sind.“
„Vielleicht wäre es gut, wenn wir uns ähnlicher wären. Vielleicht könnte ich etwas von deinem Zynismus gebrauchen.“
„Ja. Wir könnten es schon zu etwas bringen, wenn wir zusammenarbeiten würden. Meinst du nicht? Wir könnten die Weltherrschaft übernehmen.“
„Das versuchen schon viele Männer. Die brauchen uns nicht.“
„Du klingst nicht wütend.“
Hugh setzte die Flasche ab und wischte sich über den Mund. „Ich bin nicht wütend.“
„Wieso nicht?“
„Keine Ahnung.“ Doch in seinem Inneren kannte er die Antwort. Wenn Ferris recht hatte, dann hatte Hugh niemanden enttäuscht. Weder Gott oder seine Eltern und vielleicht nicht mal sich selbst. Wenn Ferris recht hatte, dann lehnte die kirchliche Hierarchie seine Priesterweihe ab, weil sein Vater und vielleicht sogar seine Mutter es so wollten. Die Kirche war vielleicht nicht perfekt, aber er fühlte sich von Minute zu Minute leichter.
„Ich wäre ziemlich wütend und ich würde mich rächen wollen“, sagte Ferris.
„Was genau würdest du denn tun?“
„Etwas Unerwartetes. So viel ist sicher. Ich würde mir etwas ausdenken, das sie kalt erwischt. Und wenn Geld ihre Schwäche ist, würde ich sie da treffen. Ihnen etwas Wichtiges vorlügen, etwas stehlen, das sie unbedingt ersetzen müssten, weil es andernfalls ein Riesenverlust wäre. Keine Ahnung. Irgendwas in der Art.“
„Nein. Das würde King Henry machen. Du bist subtiler als er. Du würdest abwarten. Ich glaube, du hast mehr Geduld, als man glaubt. Du würdest warten, und wenn du am Ende quitt mit ihnen wärst, würdest du es ihnen sagen. Und du würdest sichergehen, dass sie dich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verletzen könnten.“
„Klingt gut.“
„Es hat doch einen Grund, dass du mir das alles erzählt hast, oder?“
Ferris ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Vielleicht war das mein Abschiedsgeschenk.“
„Vielleicht. Aber vielleicht erwartest du auch etwas zum Dank dafür.“
„Du kapierst schnell, Hap. Vielleicht sind wir uns in diesem Punkt doch ähnlich. Ich begreife auch schnell. Ich bin nur nicht so umgänglich, wenn ich etwas herausfinde.“
„Warum wolltest du, dass ich weiß, wie alles gelaufen ist?“
„Weil es dich zerfressen hat.“
„Und das interessierte dich?“
„Mir kann niemand etwas vorwerfen.“
„Du bist gar kein so schlechter Bruder.“
„Denkst du manchmal noch an die Nacht auf Chénière Caminada?“
„Manchmal.“
„Ich dachte, ich würde sterben.“
„Wenn die Schmuggler nicht ausgerechnet ein Schiff der Gulf Coast beliefert hätten, wären wir womöglich gestorben.“
„Du hast dich vor mich gestellt.“
„Klar. Ich war größer als du.“
„Du wirst immer größer als ich sein, Hap, selbst wenn wir gleich groß sind. Ich wollte nur einmal genauso groß dastehen.“
Die Nacht war tintenschwarz. Draußen sangen die Sumpfschnäpper. Aurore hörte, wie sich die Galerietür hinter ihr schloss. Da außer ihr nur noch Ti’Boo im Cottage war, wusste sie, wer ihr Gesellschaft leisten wollte. „Konntest du nicht schlafen, Ti’Boo? Den Jungs ging es genauso. Sie sind vor einer Weile runter an den Strand gegangen.“
„Ich schlafe nicht mehr so gut. Ich träume, bis mein Kopf am nächsten Morgen ganz schwer geworden ist und ich nicht mehr aufstehen will.“
„Dann sind es keine schönen Träume, oder?“
Ti’Boo seufzte. „Was habe ich nur getan, um mir so schlechte Träume zu verdienen? Ich habe jung geheiratet, hab alle Kinder, die le bon Dieu für mich vorgesehen hatte, zur Welt gebracht. Und jetzt sind alle verheiratet und ich träume schlecht.“
„Aber die Kinder bleiben doch immer deine Kinder.“ Aurore drehte sich zur Seite, um Ti’Boo anzusehen. Ti’Boo trug ein geblümtes Kleid und das Seidentuch, das Aurore ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Ihr graues Haar ging ihr bis zur Schulter. Sie war klein und stämmig, und ihre Haut, die immer sehr zart ausgesehen hatte, war inzwischen faltig geworden.
Aurore griff nach ihrer Hand. Die Jahre hatten ihrer tiefen Freundschaft nie etwas anhaben können. „Meine Kinder sind auch nicht mehr oft bei mir.“
„Träumst du auch manchmal noch vom Hurrikan?“ Aurore
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