Gefahrliches Vermachtnis
„Nach Marseille, um mit diesen dreckigen kleinen Ausländern zu leben?“
„Ich werde Gulf Coast in Europa repräsentieren. Erinnerst du dich an Gulf Coast? Das Unternehmen, das du eines Tages leiten sollst?“
„Leiten? Nie im Leben! Ich heirate eine Frau, die schlauer ist als ich, wie Daddy es gemacht hat. Oder falls du dich entscheidest, dass dir das Messelesen zu langweilig wird, kannst du es übernehmen. Es ist mir egal. Ich will nur meinen Anteil.“
„Im Moment liegt dein Anteil irgendwo bei unter null Prozent von nichts.“
„Hey, so schlecht sieht es gar nicht aus! Der alte Krüppel aus dem Weißen Haus wird es schon für uns richten.“
Hugh wollte Henrys Einfluss auf das Überleben der Reederei nicht schmälern. Allerdings war es die umsichtige Leitung seiner Mutter gewesen, die Gulf Coast Shipping in den schlechten Jahren vor dem Schicksal glückloserer Firmen bewahrt hatte.
„Ich weiß nicht, ob irgendjemand irgendetwas ausrichten kann. Die Welt spielt gerade verrückt“, sagte Hugh.
Ferris schaute zu den Sternen. „Wovon sprichst du? Der Wirtschaft geht’s besser.“
„Liest du keine Zeitung? Hast du nicht von diesen Typen gehört, die Hitler und Mussolini heißen?“
„Ja. Und von einem Stalin auch. Die halten sich gegenseitig in Schach. Falls einer von ihnen verrücktspielt, schicken wir sie in den Ring, und dann können sie es dort ausfechten.“
„Das ist kein Witz. Es waren noch niemals so viele Menschen davon überzeugt, dass es Krieg geben wird.“
„Ach? Kriege sind gut für die Schifffahrt. Wir werden sie alle beliefern und uns aus allem raushalten. Außerdem will niemand für einen Haufen Leute kämpfen, die nicht mal Englisch sprechen.“
„Manchmal frage ich mich, weshalb Mama dich je aus ihrem Bauch gelassen hat.“
„Ach ja? Und ich frag mich, weshalb Daddy dich nicht gleich nach der Geburt ertränkt hat.“
Keiner von ihnen musste an die Trennlinie in ihrer Familie erinnert werden. Henry hatte immer ein Problem mit Hugh gehabt, während er Ferris gerne in seiner Nähe wusste. Und sokam es, dass die beiden Jungen nur in den kurzen Sommerferien auf der Insel Gelegenheit hatten, sich wirklich kennenzulernen.
Hugh erhob sich. Die Brandung donnerte an den Strand. Vielleicht war ein Sturm im Anmarsch. Er zog sein Hemd aus und bot dem warmen Wind seine nackte Brust.
„Was, zum Teufel, machst du da?“, fragte Ferris.
„Wir gehen schwimmen. Komm!“
Ferris hielt eine Flasche hoch. „Nö, ich trinke lieber noch was.“ Er setzte die Flasche an die Lippen. Hugh nahm sie ihm weg und schüttete seinem Bruder den Inhalt über den Kopf. Als Ferris nach Luft rang und sich die Augen rieb, stürzte sich Hugh ins Wasser und tauchte erst weit vom Ufer entfernt wieder auf. Das Wasser war nur wenig kühler als die Luft. Ferris kam hinterher.
„Du Idiot!“
Hugh tauchte in tieferes Wasser. Die Zeit schien stehen zu bleiben. In diesem Augenblick war er am Ursprung allen Lebens angelangt. Zum ersten Mal, seit seine Priesterweihe verschoben wurde, fühlte er sich beinahe lebendig.
Er hielt die Luft an, bis seine Lungen zu platzen drohten. Als er schließlich wieder auftauchte, war sein Bruder nirgendwo zu sehen. Hugh rieb sich das Salzwasser aus den Augen und rief nach ihm. Eine Möwe schrie, die Wellen tosten, aber Ferris blieb stumm.
„Ferris!“
Etwas streifte sein Bein. Instinktiv schwamm Hugh näher ans Ufer heran, um nach seinem Bruder zu suchen. Manchmal verirrten sich Haie in diese Gegend; man musste vorsichtig sein. Gerade als er glaubte, er hätte sich die Berührung nur eingebildet, wurde sein Bein noch einmal gestreift. Er schlug ins Wasser. „Ferris, hör auf damit! Ich weiß, dass du es bist.“
Er wusste es nicht. Und er war sich auch nicht sicher, ob Ferris wirklich so lange den Atem anhalten konnte.
Dann schnappte etwas nach seinen Zehen, aber es fühlte sich eher wie eine Hand an und nicht wie rasiermesserscharfe Zähne.Er trat um sich und tauchte unter. Doch es war zu dunkel, um etwas zu sehen. Seine Hand berührte Haut. Und einen Augenblick später tauchte sein Bruder in den Wellen auf.
„Erwischt!“, sagte Ferris grinsend. „Du hast mich für einen Hai gehalten!“
Hugh packte ihn an den Haaren, um ihn unterzutauchen. Ferris wehrte sich. Die Brüder lieferten sich eine Wasserschlacht, bis sie sich abgekämpft nebeneinander in den Sand fallen ließen.
„Du hast mich für einen Hai gehalten!“, wiederholte Ferris. „Gib’s zu!“
Hugh
Weitere Kostenlose Bücher