Gefahrliches Vermachtnis
den Blick auf die niedrigen Häuser der gegenüberliegenden Straßenseite richtete. Er hatte gehört, dass der Rothaarige in einem der Häuser wohnte, die aus dem achtzehnten Jahrhundert stammten. Die meisten davon bestanden nur aus ein oder zwei kleinen Zimmern. Vor ihrer Tür floss ein kleiner Bach durch die Gasse und alles war von Fliegen übersät. Die Unterkünfte gehörten zu den armseligsten Behausungen in der Medina. Hier wohnten Bettler und Prostituierte und andere verzweifelte Menschen, die leicht zu bestechen waren. Vermutlich konnte man hier mit ein paar französischen Francs und einem spitzen Dolch leicht für seine Sicherheit sorgen.
Hugh wartete ab und behielt die Umgebung im Auge. Er hatte Angst um Phillip. Mit jeder Minute, die verstrich, verringerten sich die Überlebenschancen des Jungen. Wenn sein Spionagetraining auch nur minimal gewesen war, so hatte er doch gelernt, dass es klug war, Handlungen vorher gut zu planen. Ihm blieb keine Zeit, die Häuser zu durchsuchen. Abgesehen davon hätte er vermutlich schon den Versuch mit dem Leben bezahlt – trotz des spitzen Messers in seiner Hosentasche. Stattdessen betete er, dass die verdächtigen Männer ihn zum richtigen Ort führen würden.
Er hatte Nicky nicht die volle Wahrheit über Phillips Aufgabe gesagt; die Nacht des Fastenbrechens war nicht nur ein Vorwand zum Belauschen gewesen. Die amerikanischen Agenten glaubten, dass für den späten Abend ein Treffen einberufen worden war. Die Riffis gehörten zu einer Gruppe, die von einem Mann mit dem Codenamen „Tassels“ angeführt wurde. Alle Gruppenmitglieder waren ausgebildete Guerilleros, ihre Dienste unbezahlbar. Doch die Einheimischen strebten nach Unabhängigkeit von Frankreich und ihre Loyalität war nicht mehr klar definiert. Die Alliierten schwankten zwischen Verständnis und praktischen Erwägungen. Für sie war es wichtig, dass das Vichy-Regime mit ihnen kooperierte.
Sie empfanden zwar keine Sympathie für Vichy-Frankreich,aber die Schlachtschiffe der Franzosen hätten große Schäden anrichten können.
Die Riffis, die nach Casablanca gekommen waren, hatten Einfluss auf ihre Stämme, und das, was nach dem Krieg für sie herausspringen konnte, interessierte sie mehr als der Krieg an sich. Sie mochten das doppelzüngige Gerede der Alliierten nicht, und sie waren nicht mehr bereit, sich auf einen Handel einzulassen. Phillip schwebte deshalb möglicherweise in Lebensgefahr.
Falls besagtes Treffen in dieser Nacht stattfand, dann vielleicht im Haus der Riffis. Falls nicht, war es dennoch möglich, dass einer oder beide Riffis diesen Weg nehmen würden. Die Möglichkeit war zwar sehr gering, aber momentan alles, was Hugh hatte.
Phillip musste etwas Wichtiges gehört haben. Hugh war sich sicher, dass sie ihn nicht aus Rache mitgenommen hatten. Die Frage war, ob sie ihn freilassen würden, wenn das, was er mitbekommen hatte, nicht mehr wichtig war. Es war jedoch wahrscheinlicher, dass Phillips Leben in einer dieser verdreckten Hütten zu Ende ging, weil seine Entführer ihn identifiziert hatten.
Ein Mann mit Fez spazierte an ihm vorbei. Seine weiße Djellaba leuchtete hell im Schein der Straßenlaterne, als er plötzlich die Richtung änderte und in eine andere Gasse einbog.
Sie war mit silbernen Fäden bestickt. Sie glitzerte.
Hugh stand auf. Er stülpte die Kapuze über seinen Fez und folgte dem Mann, der sich schnell von ihm entfernte. Er ließ ihn nicht aus den Augen. Die Gasse war zu spärlich beleuchtet, als dass man sein Gesicht hätte erkennen können. Das wäre nicht einmal, wenn er sich umgedreht hätte, möglich gewesen. Hugh glaubte nicht, dass er ihm schon einmal begegnet war, aber er fragte sich, was ein Mann mit solch teurer Kleidung an einem Ort wie diesem zu suchen hatte. Für den Preis dieser Djellaba hätte der Mann einige Monate lang in einem besseren Viertel wohnen können.
Die Gasse war verwinkelt, aber der Mann zögerte nicht. Sein Ziel war ihm offensichtlich vertraut. Er wählte eine Abzweigung nach rechts und verschwand. Als Hugh dort ankam, war der Mann weg.
Hugh presste sich gegen die Wand und horchte aufmerksam auf Geräusche. Aus dem Haus gegenüber ertönte Kindergeschrei, aber nebenan war alles still. Vielleicht stand das Haus leer.
Hugh konzentrierte sich auf die Stelle, an der der Mann so plötzlich verschwunden war. Er schlich unauffällig zum nächsten Eingang. Im Hausinneren war es dunkel, und als er vorbeiging, bewegte sich nichts. Im nächsten
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