Gefahrliches Vermachtnis
Platz in der Nähe der Männer suchen konnte. Als sie Hugh dann noch immer nirgends entdecken konnte, bahnte sie sich einen Weg zu Phillip und rief ihn zu sich.
„Entschuldigung!“, rief sie auf Englisch. Man antwortete ihr auf Französisch und Arabisch, aber sie tat so, als würde sie nichts verstehen. Schließlich entdeckte sie ihren Sohn. Er stand hinter den beiden Männern. Ihr blieb nichts anderes übrig, als mit Phillip zu schimpfen, wie es die Mütter aus allen Kulturen gemacht hätten.
„Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht so nahe rangehen!“, schimpfte sie. „Hier sind zu viele Menschen. Es ist gefährlich!“
„Ach … ich will doch nur zusehen.“
„Na gut, aber das ist jetzt weit genug! Ich will nicht, dass die Tänzerinnen dich zertrampeln.“
Phillip war nun nahe genug an die Männer herangekommen, um zu hören, worüber sie, tief in ihrer Unterhaltung versunken, sprachen. Phillip vermied es, sie anzusehen. Er ging zu den Trommeln und Tamburinen. Das Tempo der Trommelschläge erhöhte sich. Die Berberinnen bildeten Zweierreihen. Die einentanzten nach links, die anderen nach rechts, bis sie sich wieder im Kreis gegenüberstanden.
Der Mann mit dem roten Haar wandte sich um und betrachtete Phillip. Nicky sah, dass Phillip ihn anlächelte und mit ihm sprach. Der Mann sah ihn missbilligend an und hob skeptisch Brauen und Achseln, eine typisch marokkanische Geste. Dann widmete er sich wieder seiner ursprünglichen Unterhaltung.
Der Tanz erschien unendlich lang. Rings um Nicky herrschte dichtes Gedränge. Füße stampften. Hände klatschten. Kinder drückten sich eng an ihr vorbei. Väter und Mütter versperrten ihr die Sicht.
Nicky erkämpfte sich eine Lücke in der menschlichen Wand, um Ausschau nach Phillip zu halten. Sie hatte ihn höchstens einen Moment lang aus den Augen verloren. Doch Phillip und die drei Männer waren verschwunden.
17. KAPITEL
N icky suchte in der Menge nach Phillip. Die Tänzerinnen waren längst verschwunden und die Trommler sammelten Münzen ein. An ihrer Stelle traten nun Jongleure auf, düstere Männer in weißen Djellabas, die Orangen und Granatäpfel in die Luft warfen.
„Phillip!“
Sie rief seinen Namen nun schon seit fast einer Stunde und entfernte sich immer weiter von der Stelle, wo die Tänzerinnen aufgetreten waren, kehrte aber immer wieder dorthin zurück. Inzwischen machten die Jongleure schon Platz für ein Orchester.
Phillip war noch nie ein ängstliches Kind gewesen. Er war sehr reif für sein Alter, mutig, aber nicht leichtsinnig. Nicky glaubte nicht, dass er den Souk alleine verlassen hatte. Man hatte ihn entführt! Panik überkam sie, obwohl sie versuchte, sie zu unterdrücken. Auf einmal wirkte alles, was vorher noch bunt erschienen war, unheimlich. Plötzlich hasste sie die fremden Gerüche und das laute Sprachengewirr. Der Gedanke an das Labyrinth zahlloser Elendshütten, in denen ganze Familien in einem Raum hausten, der nicht größer war als ein Stall, machte ihr Angst.
Phillip konnte für immer verloren sein, niemals wieder nach Hause finden. Was für ein schrecklicher Gedanke! Er konnte hier irgendwo sterben!
Während Nicky sich einen Weg durch die schmalen Gassen bahnte, glaubte sie, Hugh zu sehen, doch als sie in seine Richtung drängte, war er weg. Sie schlüpfte in die kleine Gasse, in der Hugh möglicherweise verschwunden war. Dort war es ruhig und sämtliche Läden waren geschlossen. Sie ging bis ans Ende der Gasse und betete darum, Hugh zu finden.
Als jemand nach ihrem Arm griff, unterdrückte sie einen Schrei. Eine Hand zog sie in einen Hauseingang hinein. „Hap!“ Sie fiel ihm schluchzend in die Arme.
„Wo ist Phillip?“
Sie schlug ihm hilflos gegen die Schulter. „Du hast versprochen, dass ihm nichts passieren würde! Du hast es versprochen!“
„Nicky.“ Er nahm sie in den Arm, obwohl sie sich Mühe gab, sich von ihm loszumachen. „Hör auf! Beruhige dich! Was ist passiert?“
Da erzählte sie ihm alles. „Du hast gesagt, du behältst ihn im Auge.“
„Ich bin entdeckt worden und musste mich verstecken. Als ich zurückkehren konnte, warst du schon weg.“
„Du hast mich belogen! Du hast gesagt, er sei nicht in Gefahr.“
„Hör auf damit! Erzähl mir von den Männern.“
„Sie sprachen mit einem dritten Mann.“
„Kannst du ihn beschreiben?“
„Er sah aus wie ein Araber! Was willst du hören? Er sah aus wie tausend andere!“
„Denk nach. Ist dir sonst noch etwas aufgefallen?“
Sie
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