Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
selbst ein anderes gewählt.
    »Eine Verbitterung, die mittlerweile sozusagen alle Männer betrifft?«
    »Ja, vielleicht.« Sie lächelte hart. »Ich mag es, euch da hängen und zappeln zu sehen – an der Angel. Und dann lass’ ich euch wieder fallen, tödlich verletzt.«
    »Aber einige kommen vielleicht doch wieder an die Oberfläche?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.«
    »Johnny Solheim?«
    Sie schnaubte. »Ich kannte ihn fast gar nicht! Hatte ihn nur ein paarmal getroffen. Aber ich treffe so viele. Er fing an, sich was einzubilden.«
    »Ja, das hast du schon gesagt. Und ich kann mir denken, warum. Ich würde vielleicht auch anfangen, mir – was einzubilden. Aber Samstagnacht hast du ihn also nicht gesehen, nach deinem kleinen Auftritt auf der Tanzfläche …«
    Plötzlich wirkte sie peinlich berührt. »Ich war noch nicht fertig mit der Show. Ich wollte nicht … Aber die, die ich bin, am Rande der Auftritte und solange ich in der Öffentlichkeit bin, das ist die eine Person. Sonst bin ich …«
    »Eine ganz andere. Ich sehe es langsam ein. Das klingt nach einem anstrengenden Dasein. Wie zu versuchen, ein Gespräch in Gang zu halten in einem Raum, wo jemand ständig das Licht an- und ausschaltet. – Ich kann mir denken, daß dich das ab und zu in dramatische Situationen bringt, Situationen, die du nicht so ganz beherrschst.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Nicht sooft, alles in allem. Die meisten verstehen ein Knie in … an der rechten Stelle. – Du brauchst es nur zu versuchen …«
    »Nein danke. Ich glaube, ich verzichte. Aber diese andere Frau, die du also auch bist. Die wäre doch wohl stark genug, um auch einen Mord zu begehen, oder?«
    »Du meinst doch nicht …«
    »Sie hat nicht zufällig die Angewohnheit, den Leuten Engelbilder zu schicken, oder?«
    »Engelbilder? Wovon, zum Teufel, redest du?«
    Das Erstaunen wirkte echt, aber mit welcher ihrer zwei Persönlichkeiten ich eigentlich sprach, war mir absolut nicht klar. Die andere wäre vielleicht nicht so erstaunt gewesen.
    Ich bedankte mich also höflich und ging in einem Halbkreis um sie herum und hinaus, für den Fall, daß sie meinte, es sei Zeit für eine Demonstration.
    Die Tür wurde hart zugeschlagen, und das Licht in dem weißgekalkten Treppenhaus blendete mich, wie ein Blitzlicht. Ich war halb die Treppe hinuntergestiegen, als mein Unterbewußtsein mir etwas ins Ohr flüsterte.
    Hatte ich nicht einen Laut gehört – einen kratzenden, kleinen Laut, wie von den Fußsohlen von jemandem, der wartet?
    Ich blieb stehen und lauschte.
    Stille – und das Gefühl, daß da jemand war.
    Ich beugte mich über das Geländer und sah nach oben. Eine Etage über mir griffen fünf Finger um das Geländer.
    »Hallo?« sagte ich.
    Niemand antwortete, aber die fünf Finger verschwanden, als hätten sie sich an mir verbrannt.

36
    Ich trat ganz zurück an die Wand und versuchte nach oben zu sehen. Das einzige, was ich wahrnahm, war das Geräusch von Schuhsohlen, die sich über den Betonboden dort oben bewegten.
    Ich öffnete den Mund zu einem erneuten Anruf, ließ es dann aber sein. Statt dessen nahm ich den Rest der Treppe, bis dorthin, wo sie um die Ecke führte, in zwei, drei langen Schritten, um den, der sich dort befand, zu überraschen.
    Als ich um die Ecke bog, hörte ich das leise Klicken eines Lichtschalters. Die Dunkelheit fiel wie eine Guillotine herab, und ich stolperte auf der untersten Stufe, stieß mir die Knie und Unterschenkel an den Stufen darüber und griff vergeblich nach dem Geländer.
    Dann kam mir die Person von oben entgegen. Ich wollte gerade wieder aufstehen, als mich eine schlecht plazierte Schuhspitze in der Mitte zwischen Herz und Achselhöhle traf, meine linke Schulter lähmte und mich vor Schmerz aufstöhnen ließ. Eine etwas genauer plazierte Faust entzündete einen Funkenregen in der Dunkelheit um mich herum, als sie mich am Kinn traf, bevor die Funken erloschen, das Dunkel total wurde und ich mich in Embryostellung zur Ruhe legte, den Kopf an der Betonwand, das Gesicht zur Treppe gewandt und den einen Fuß zwischen die Geländerstangen geklemmt.
    Da hing ich, wie ein verlorener Seemann im Tauwerk eines untergehenden Schiffes. Das Blut pochte wie ein Monsun durch meine Adern, und die Wellen, die durch meinen Bauch rollten, gaben mir das Gefühl, alt zu sein wie das Meer, geschwächt von den Gezeiten. Ich war Ebbe an einem Strand, wo alle Garstigkeiten freigelegt wurden, wenn das Wasser sich zurückzog. Ich war

Weitere Kostenlose Bücher