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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Strandgut.
    Dann trieb ich langsam wieder ans Licht, vom Schmerz geblendet. Ich löste den Fuß vom Geländer, zog die Knie unter mich, krümmte behutsam den Rücken und zog den Kopf vorsichtig aus dem Treibsand, in dem er festsaß. Ich fühlte mich wie ein Strauß, der, um sich zu verstecken, den Kopf in einen Mixmaster gesteckt hatte. Ich fand die Wand und folgte ihr nach unten, denselben Weg, den ich gekommen war.
    Vor der Tür von Belinda Bruflåt fand ich die Klingel nicht. Ich schlug statt dessen hart an die Tür.
    Sie legte die Sicherheitskette vor, bevor sie öffnete und mich durch den Türspalt ansah. »Was zum …«
    Ich versuchte, den linken Arm zu bewegen, aber er hing einfach nur da. Ich versuchte, etwas zu sagen, aber das Kinn war in einer Stellung festgemeißelt, aus der ich nicht die Kraft hatte, es zu lösen. Das einzig Vernünftige, was ich tun konnte, war, ohnmächtig zu werden.
     
    Ich erwachte davon, daß ich in ihrer Wohnung auf dem Boden lag. Sie war dabei, mir das Gesicht mit einem nassen Frotteehandtuch abzuwaschen, und ich entdeckte zu meiner Verwunderung, daß ich den linken Arm bewegen konnte – genau genommen sogar ohne Schmerzen –, um mich ans Kinn zu fassen, das sich freier anfühlte als vorher.
    »Wie fühlst du dich?« fragte sie und sah mich besorgt an.
    »Als hätte man mich am hellichten Tag massakriert und ich erwachte in den Armen von Maria Magdalena.«
    »Was ist passiert?«
    »Jemandem gefiel es nicht, daß ich hier war. Mit der Bühnenshow die du dir da leistest, und einem heimlichen, privaten Leben – um es mal so zu sagen – geh’ ich davon aus, daß du eine lange Schlange von verschmähten Freiern aufzuweisen hast …« Ich sah zur Tür. »… da draußen. Das hier war vielleicht einer, der sich vordrängeln wollte.«
    Sie schüttelte den Kopf, wie um zu sagen, daß sie das nicht glauben konnte.
    »Wenn es nicht so ist, daß du mehr von dieser Sache weißt, als gut für dich ist, und jemand dir eine Warnung zukommen lassen wollte … durch mich.«
    »Welche Sache? Die mit Johnny?«
    »Ja?«
    »Ich hab’ doch gesagt, daß ich nicht …«
    »Ja, aber ich kann mich so schlecht erinnern.« Ich faßte mir ins Gesicht. »Jemand muß in der Zwischenzeit was mit meinem Kopf gemacht haben.«
    Sie saß da und sah mich an. »Soll ich ein Taxi rufen? Hier kannst du nicht bleiben.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    »Erwartest du jemanden?«
    »Nein!«
    »Wer bist du eigentlich, Belinda Bruflåt?«
    »Ein ganz gewöhnliches Mädchen aus Lindås, das …« Sie suchte nach Worten.
    »Ein gefährliches Spiel spielt?«
    »Eine Rolle spielt, deren Text sie noch nicht kann. – Na komm. Ich helfe dir auf.«
    Sie streckte mir die Hand hin, und ich kam hoch. Mein Gesicht war naß, Schulter, Brust und Nacken taten weh, und die Monsune in meinen Adern waren zu einem Taifun im Kopf geworden.
    »Soll ich ein Taxi rufen?«
    Ich machte eine abwehrende Bewegung. »Ich fahre selbst. Wenn du mir nur sagst, in welcher Richtung die Stadt liegt, dann …«
    Sie sah mich besorgt an.
    Ich erwiderte ihren Blick. Ich versuchte Bella Bruflåt in ihr zu sehen, aber das war unmöglich. Wir waren an dem Punkt angelangt, wo sie den Text noch nicht beherrschte. Oder es jedenfalls sehr gut verbarg.
    Sie blieb in der offenen Tür stehen, bis sie sicher war, daß ich heil die Treppe hinunter und nach draußen gekommen war.
    Draußen vor dem Haus sog ich die kalte Winterluft tief in die Lungen und sah mich gründlich um, bevor ich mich aufs offene Feld hinaus bewegte. Die parkenden Autos erinnerten an Raubtiere auf dem Sprung, und ich ging vorsichtig an ihnen vorbei, sämtliche Antennen geputzt.
    Aber keins von ihnen sprang mir an die Kehle. Sie öffneten kaum die vorderen Scheinwerfer, als ich vorbeiging.
    Ich fand meinen eigenen Toyota, vergewisserte mich, daß der Rücksitz leer war, setzte mich gemütlich auf dem Fahrersitz zurecht, legte die Hände aufs Steuer und sagte leise: »Weis mir den Weg, Engel!«
    Dann ließ ich ihn mich nach Hause fliegen, ohne daß ich aus Protest ein Pedal trat.

37
    Am Tag darauf war der Himmel wie ein Laken, das jemand am Abend vorher zum Trocknen aufgehängt hatte, so steif, daß es von allein stand.
    Mein linker Arm lebte sein eigenes Leben, und das Kinn fühlte sich an, als hätte ich es bei einem Konkursunternehmen ersteigert.
    Das Telefon hatte mich geweckt. »Hallo«, antwortete ich, zweistimmig.
    »Veum?« – Woher kannte ich die Stimme?
    »Am Apparat.«
    »Hier ist Berge

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