Gefallene Engel
Hennes-&-Mauritz-Katalog. In Åsane war das Leben noch in Ordnung.
Belinda Bruflåt wohnte in einem Terrassenblock, mit Aussicht auf das häßlichste Industriegebiet der Stadt und einen See, in dem jährlich dorthin verbannte Forellen plätscherten.
Als ich den Wagen geparkt hatte und dabei war, ihn abzuschließen, hatte ich plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden.
Ich steckte den Autoschlüssel in die Tasche und drehte mich langsam um.
Im Eingang zum Treppenhaus stand eine Handvoll Jugendlicher beiderlei Geschlechts, die Jungs mit den Händen in den Hosentaschen, die Mädchen damit beschäftigt, Kaugummi zwischen den Lippen hervor- und langzuziehen. Aber keiner von ihnen sah in meine Richtung.
Sonst konnte ich niemanden entdecken. Es war ein ziemlich großer Parkplatz, aber ich sah niemanden in einem Auto sitzen, was aber nichts bedeuten mußte. Einige Autos waren teilweise von anderen verdeckt, und den Trick, sich tief in den Sitz sinken zu lassen, hatte ich selbst oft genug angewendet.
In den Blocks um den Platz herum gab es viele dunkle Fenster, hinter denen Hunderte von Menschen stehen und mich ansehen konnten, wenn es sie interessierte.
Wie um ein Zeichen zu geben, daß mir bewußt war, daß dort jemand war, machte ich eine Runde zwischen den geparkten Wagen, beugte mich hinunter und sah in regelmäßigen Abständen in ein paar hinein, fand aber immer noch keine versteckten Personen.
Also trollte ich mich mit erzwungener Nonchalance in Richtung des Blocks, in dem Belinda Bruflåt wohnen sollte.
Der kleine Stich im Nacken war die ganze Zeit da.
Er verschwand nicht.
Ich ging ins Treppenhaus des Terrassenhochhauses. B. Bruflåt stand an einem der Briefkästen.
Ich ging die Treppe hinauf, fand ihren Namen im zweiten Stock wieder und klingelte. Aus alter Gewohnheit sah ich auf die Uhr. Es war mittlerweile viertel vor neun.
Die Tür ging auf. Im ersten Moment erkannte ich sie fast nicht wieder. Ihr Haar hing platt herunter und war ungepflegt, das Gesicht grau und ungeschminkt, und sie trug ganz gewöhnliche abgetragene Jeans und eine grauweiße Strickjacke, bis oben hin zugeknöpft. Sie wirkte molliger als auf der Bühne und sah aus, als wäre sie eher an die dreißig als zwanzig.
Es schien allerdings, als würde sie mich wiedererkennen, denn sie wurde leicht lachsrot und wollte die Tür wieder schließen.
Ich hatte schnell meine Schuhspitze in der Türöffnung, während ich sagte: »Du müßtest nur mal raus – hast du gesagt. Ich könnte da immer noch stehen und warten.«
Sie sagte, mit einem verächtlichen Funkeln in den Augen: »Ich verkaufe nichts an der Tür.«
»Aber auf der Bühne gibst du alles?«
Sie nickte. »Wenn du also auf eine Nummer aus bist, then you’ve come to the wrong place, buddy.« Sie beherrschte beide Lindåsdialekte.
»War es auch das, was Johnny Solheim wollte?«
»Ich …« Sie schnappte nach Luft.
»Kann ich reinkommen?« sagte ich schnell.
»Nein.«
Ich sah mich um, sah die Treppe hinauf und sagte laut: »War er auch auf eine Nummer aus, Johnny Solheim? Solheim!«
»Ich ruf’ die Polizei!«
»Tu das«, sagte ich und ging einfach an ihr vorbei in den Flur. »Ich werd’ für dich wählen.«
Sie folgte mir, aber ohne die Wohnungstür zu schließen.
»Ich will nur mit dir reden. Über Johnny Solheims Tod.«
Sie war aschfahl geworden. »Dann – dann laß uns lieber …« Sie ging zur Tür und schloß sie mit einem harten Knall.
Es entstand eine peinliche Pause. Wir standen in einer viel zu großen Kombination aus Flur und Eßzimmer, mit einem Kleiderschrank zur Linken und einem Eßtisch und Stühlen zur Rechten. Durch eine Glastür kam man in einen weiteren Wohnraum, mit modernistischen Möbeln aus Kunstleder und verchromtem Metall. Auf einem Fernsehschirm flimmerte ein Musikvideo vom Sky-Channel. An den Wänden hingen Bilder, die sie bei IKEA als Zugabe bekommen hatte, massenproduzierte Graphiken von Schärenlandschaften mit grünem Meer und ockergelbem Himmel. Es fehlte nur noch, daß Ulf Lundell aus der Küche käme und sänge, daß er »trivs bäst i öppna landskap {9} «.
Ich wies mit dem Kopf in Richtung Salon. »Sollen wir?«
Sie sah mich an, zugeknöpft und abweisend, auf eine Weise, daß ich mich noch einmal fragte, ob ich Belinda oder ihre Zwillingsschwester vor mir hatte. »Wir stehen gut hier. Worum geht’s?«
Ich verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Wie ich gesagt habe … Johnny Solheims Tod.«
»Ich hab’ der
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