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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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noch andere?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Wir hatten nicht einmal vor dem Bruch etwas miteinander zu tun.«
    »Warum nicht?«
    »Uns verband nichts. Aber die Jungs. Die Musik.«
    Vor der Treppe zu einer Bushaltestelle blieb sie stehen. Ein kalter Windstoß fuhr uns in die Haare, und automatisch schlugen wir die Kragen hoch.
    Sie sah mich an, mit einem unbestimmbaren Augenausdruck, als hätte ich sie zum allerersten Mal nach Hause gebracht und als wüßten wir nicht, ob wir uns küssen sollten.
    Dann zuckte sie mit den Schultern, drehte sich um und ging die Treppe zum Bussteig hinauf.
    Ich stand da und sah ihr nach. Auf halber Höhe blieb sie stehen und drehte sich wieder zu mir um. »Varg …«
    Unsere Blicke begegneten sich, wie damals, als wir plötzlich allein im Zimmer waren und beide nicht älter als achtzehn. »Ja?«
    »Nein, es war nichts.« Sie machte eine Bewegung mit der Hand, ging weiter nach oben und war verschwunden.
    »Nein, war es wohl nicht«, sagte ich zu der leeren Treppe, griff in meine Manteltasche, breitete meine Gedanken wieder aus und folgte ihnen wie einer Straßenkarte, zurück in die Fosswinckelsgate, um den Wagen zu holen.

35
    Ich setzte mich ins Auto, noch immer in Gedanken vertieft. Die Luft war kalt und feucht. Eine weiße Blumenschicht von Frost hatte sich auf der Frontscheibe gebildet, so daß ich aussteigen und sie abkratzen mußte, wie ein Schimpanse, der aufgeregt die Tulpen von einem Blumenbeet im Tierpark abreißt. Als ich den Motor startete, sang jemand im Autoradio davon, daß »you always hurt the one you love«. Ich schaltete das Radio aus, löste die Handbremse und fuhr los, abrupter als dem Wagen guttat.
    Es stand noch ein Name auf meiner Liste für diesen Tag. Es war Belinda Bruflåt. Aber als ich sie zuletzt gesehen hatte, hatte sie mich auf der Tanzfläche stehen lassen wie einen x-beliebigen Schuljungen, und ich wußte nicht, ob ich Charakterstärke genug haben würde, um diesmal noch eine Abfuhr einzustecken.
    Vielleicht war einmal genug.
    Vielleicht sollte ich lieber Karin Bjørge anrufen, mich zum Tee einladen und auf eine Wiederholung des Kusses vom Vortag hoffen.
    Vielleicht sollte ich mich bei Laila Mongstad melden, fragen, ob ich sie vielleicht zum Entzugskollektiv in Lindås begleiten könnte, vielleicht ein Glas Wein dabei heraushandeln und eine Hoffnung darauf, daß unser sechs Jahre dauernder Anlauf sein natürliches Ziel erreichte, im Bett.
    Wenn ich nicht in die C. Sundsgate fahren, mir ein Straßenmädchen kaufen und Gefühle Gefühle und Körper Körper sein lassen sollte.
    Schließlich und endlich wählte ich trotz allem Belinda Bruflåt. Ich hielt an einer Telefonzelle, benutzte das Telefonbuch als Wegweiser und fand heraus, wo sie wohnte.
    Dann rief ich Laila Mongstad an. Sie war der einzige Mensch, den ich kannte, der jedesmal vollkommen begeistert klang, wenn ich anrief. Ich hörte nie auf, mich darüber zu wundern.
    Ich erklärte ihr die Situation, und wir verabredeten, zusammen nach Lindås zu fahren, früh am nächsten Morgen.
    »Und ich störe auch nicht?« fragte ich.
    »Nein, nein«, sagte sie. Aber sie lud mich nicht zu einem Glas Rotwein ein, und das Ziel war noch immer nicht in Sicht.
    Dann verabschiedeten wir uns, und ich war wieder unterwegs.
    Belinda Bruflåt wohnte in Åsane, und der Weg dorthin war eine einzige Baustelle. Seit Beginn der 70er Jahre waren die Autoschlangen nach Åsane in der Stadt ein stehender Witz gewesen. Jetzt sollten mehrere Tunnel, mit zwei Fahrbahnen in jeder Richtung, dem Schlangestehen ein Ende machen und den Witz in andere Stadtteile verlegen. Aber noch waren es ein paar Jahre bis dahin, und wäre es nicht so spät am Abend gewesen, hätte ich deutlich länger gebraucht, um dorthin zu gelangen.
    Nach Åsane zu kommen gibt einem das Gefühl, eine Grenze zu passieren. Jedesmal, wenn ich die Spitze des Åsaveien erreichte und über Midtbygda hinwegschaute, schien mir plötzlich, ich müßte Schwedisch reden. Hier kaufte man bei EPA und IKEA ein, und die Bebauung sah aus, als läge sie in einem Vorort von Göteborg.
    In Åsane hatten die Durchschnittsnorweger ihre Heimat gefunden. Hier wählte der Meinungsumfragendurchschnitt die Fortschrittspartei {8} , und hier lebten so viele Einwanderer, wie der errechnete Durchschnittswert für die Region vorsah. Sie spielten Fußball in der vierten Liga, arrangierten Lauftraining für jedermann und Hundeausstellungen und kleideten sich nach dem alljährlichen

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