Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
über Wasser zu halten. Der Bestseller des Jahres auf dem Buchmarkt, ein Politiker, gab in drei Zeitungen gleichzeitig ein Porträt-Interview, ohne daß auch nur einen Augenblick lang die Parteifärbung weder des Politikers noch des Journalisten durchschimmerte. Die Ausfallstraße nach Norden wurde noch immer ausgebessert, und es bestand Hoffnung auf Wiedereröffnung noch lange vor 1990. Und unter den Todesanzeigen fand ich die Mutter eines alten Klassenkameraden.
    Ich sah mich um. Früher einmal hatte eine Familie mit sechs Personen in diesen Räumen gewohnt. Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer und ein Duschbad, was es damals noch nicht gegeben hatte. In der Etage unter mir wohnte jenes alte Ehepaar. Sie waren mittlerweile in dem Alter, wo es einem vorkam, als seien sie nicht einen Tag älter geworden, seit ich hier eingezogen war, vor dreizehn Jahren, und sie gehörten zu dem Typ, der aussieht, als würde er ewig leben. Jedes zweite Wochenende im Sommerhalbjahr fuhren sie hinaus zu ihrer Hütte auf Askoy. Im Winter hielten sie sich hauptsächlich im Haus auf. Wenn ich sie auf dem Flur traf, sprachen wir übers Wetter, typisch norwegisch.
    Ich trank einen stillen Aquavit zu Reis und Kaffee. Danach entschloß ich mich, noch in Nordnes vorbeizufahren, bevor ich wieder zu Jakob ging.
    Zu den Straßen da draußen zurückzukehren, stimmte immer wehmütig. Auch wenn vieles sich verändert hatte, war immer noch vieles wie früher. Ein kleines Straßenstück, das seit damals nicht asphaltiert worden war, ein Haus, das nicht neu gestrichen worden war, eine Treppe, auf der ich gesessen hatte. Vieles war verschwunden, aber die Spuren der Kinder, die hier gelaufen waren, würden nie ganz weggewischt werden, nicht bevor sie selbst alle weggewischt waren, vom Zifferblatt der Zeit.
    In vielerlei Weise war es, wie durch eine Nachkriegsstadt zu gehen, heute im Grunde mehr als 1945. Der Stadtteil wirkte irgendwie ausgestorben. Die Geschäfte waren geschlossen, Menschen waren in andere Stadtteile gezogen, Fassaden waren bis zur Unkenntlichkeit verändert, und, das schlimmste von allem, unten am Fjord gab es kein Anzeichen von Leben. Keine Schlepper, keine Amerikafähren, keine Frachter mit Kurs auf andere Städte als Stavanger oder Floro, und die letzten Seefahrer des Stadtteils hatten längst im Seemannsaltersheim oben im Haugevei angeheuert.
    Ich ging in den Nordnespark. Auch dort war Dezember. Alle Blätter waren von den Bäumen gefallen, das Gras war tot, und sogar der Asphalt sah aus, als könne er jeden Augenblick zerbröckeln.
    Ich ging wieder zurück in die Stadt, an den hohen, dunklen Fenstern der Nordnes-Schule vorbei, an die die Erstklässler gemalte und dann ausgeschnittene Sonnen gehängt hatten, wie eine Ankündigung besserer Zeiten.
    Es war sechs Uhr geworden, als ich wieder bei Jakob klingelte.
    Er kam heraus und schloß mir auf. Sein Blick glitt an mir vorbei, als hätte er erwartet, daß ich nicht alleine käme. Dann ließ er mich herein, fast widerwillig.
    »Ich hatte erwartet, früher von dir zu hören«, murmelte er, während er mich ins Wohnzimmer führte.
    Auf dem Plattenspieler drehte sich I’m looking through you: » You don’t look different – but you have changed … «
    »Ich spiele oft Rubber Soul « , sagte er. »Es erinnert mich an die ersten, glücklichen Jahre.«
    Ich hob die Augenbrauen zur Antwort.
    Wir standen einen Augenblick da und sahen einander an. Dann sagte er: »Na? War sie da?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich war sogar bei ihm zu Hause. Kennst du seine neue Frau – Bente?«
    »Nein. Wie war sie?«
    »Sie erinnerte mich an Anita. Etwas zerschlagen.«
    »Aber Rebecca war nicht …«
    »Nein. Ich bin zu ihm ins Videogeschäft gegangen und hab’ ihn direkt gefragt.«
    Ein Zug von plötzlichem Schmerz überzog sein Gesicht. »Hättest du nicht ein bißchen – diskreter sein können?«
    »Diskretion ist nicht notwendigerweise eine Tugend, Jakob. Meistens ist es nur ein unnötiger Umweg.«
    »Meinst du?« Er sah sich hilflos um. »Was willst du trinken, Varg?«
    »Ist egal. Ein Glas Bier, vielleicht.«
    Er holte eine Flasche, und die Beatles gingen über zu In my life.
    »Das waren wirklich glückliche Jahre«, sagte ich und nickte zum Plattenspieler.
    Er setzte sich. In der Hand hatte er einen dunkelbraunen Bierkrug. »Ich denke oft«, murmelte er, das Glas ein paar kühle Zentimeter vom Mund entfernt, »daß das mit den Beatles genau wie eine Liebesbeziehung war.«
    »Was meinst du?«
    »Am

Weitere Kostenlose Bücher