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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Nordnesvei Schlitten, auf dem nicht gestreut wurde, oder den Tod im Nordnespark hinunter, als wir für die Geschwindigkeit groß genug geworden waren.
    Im Frühling spielten wir in den Gassen Fangen, lagen auf allen vieren und verfolgten die Ameisen in einem kleinen Felsen, mitten zwischen den Gassen zwischen Nordnesvei und Nordnesgate, fingen Käfer unter den Blättern hinter dem Segelmacherhaus und verfolgten das Nordnes Bataillon, samstags, wenn es zwischen den Depotbaracken exerzierte, beim alten Hinrichtungsort draußen, wo sie später das Aquarium und das Institut für Meeresforschung bauten und einen Fußballplatz anlegten.
    Im Sommer gingen wir ins Seebad mit Müttern oder großen Geschwistern, und durch die dünnen Holzwände hörten wir die quietschenden Stimmen der Mädchen, die sich in einer anderen Garderobe umzogen, bevor wir aufs Land fuhren und für ein paar Wochen verschwunden waren: die Sommer in Ryfylke, bei meinem Großvater, dem Tierarzt.
    Und dann kam der Herbst, mit dunkleren Abenden, langen Schatten zwischen den Gassen, neuen Versteckspielen und – ein paar Jahre später – »Küß-klatsch-oder-knutsch«-Spielen.
    Für ein paar Jahre verschwanden die Mädchen aus unserem Leben, um danach um so intensiver zurückzukommen. Ein paar Jahre lang waren es »der« Paul, »der« Varg, »der« Pelle und »der« Jan Petter. Selten einmal kamen der Jakob und der Piddi von Klosteret herüber, aber meistens waren es wir im Viertel, die zusammenhockten. Wir spielten Fußball in der Straße und unten auf den Kais, wir hatten ein Fort auf dem Kinderspielplatz bei der Marineschule, das wir gegen Indianer aus dem Haugevei verteidigten, wir spielten unsere Straßenspiele, und als wir so um die zehn waren, erhielten wir Fahrräder, mit denen wir durch die Straßen sausten, mit Pappstücken, die wir mit Wäscheklammern am Gestell befestigt hatten, so daß es sich anhörte wie Flugzeuge, wenn wir kamen.
    Und dann, plötzlich, waren die Mädchen wieder da. Und eine von ihnen war Rebecca.
    Wahrscheinlich war ich schon die ganze Zeit in sie verliebt gewesen, ohne in der Lage zu sein, die Gefühle, die sich in mir regten, zu benennen. Sieben Jahre lang waren wir auf der Nordnes-Schule in Parallelklassen gegangen, die mit rotgelb verputzter, mit glasierten, rotbraunen Ziegelsteinen verzierter Fassade, majestätisch und von Laubbäumen umringt im Schatten der granitgrauen Festungsanlage von Fredriksberg stand: im Sommerhalbjahr in üppiges Grün gehüllt, im Herbst mit einem mit welken Blättern bestreuten Schulhof, und umgeben von schwarzen Marmorierungen gegen einen blaßgrauen Himmel im Winter.
    Wir gingen in reine Jungs- und Mädchenklassen. Wenn wir Singstunde hatten, wurden wir unter strenger Aufsicht zur Mädchenseite der Schule geführt, an den in Reihen aufgestellten Mädchenklassen vorbei, und wer in seinem jugendlichen Übermut auch nur den allergeringsten Schritt aus der Reihe wagte, riskierte, umgehend zurück und ins Büro des Oberlehrers geschickt zu werden. Das war allerdings eine Strafe, die die meisten überlebten, denn im Büro des Oberlehrers regierte Bernhard Steen mit Milde, wippte mit den Zehen, wenn er Strafpredigten hielt, nie ohne ein humorvolles Funkeln in den Augenwinkeln.
    Mädchen waren ein Land, das uns fremd bleiben sollte, worüber wir in der Geographiestunde nie abgefragt wurden, dessen Hauptstadt wir aber trotzdem alle kannten. Sie hatte fünf Buchstaben und stand mit Kopierstift an eine der Türen auf dem Jungsklo geschrieben, damit wir sie nie vergessen sollten.
    Die ersten Schuljahre befanden sie sich in einer verführerischen Abgeschirmtheit, auf der anderen Seite einer unsichtbaren Grenze, die quer über den Schulhof verlief. Auf diese Weise lernten wir, wenn nichts anderes, dann wenigstens zu verstehen, was ein Eiserner Vorhang war.
    Und dann, in einem der letzten Schuljahre, wurde die Grenze aufgehoben. Aber trotzdem blieben wir im Grunde jeder auf seiner Seite des Hofes, und gemischte Klassen wurden erst eingeführt, als wir längst begonnen hatten, mit dem Geschlecht auf der anderen Seite der Grenze in Tuchfühlung zu gehen.
    Die letzten Schuljahre schielte ich immer aus einem Augenwinkel in die Richtung des Hofes, wo die Mädchen standen, und wenn sie endlich, immer in letzter Minute, durch das Tor auf den Hof gelaufen kam, stand ich oft da und folgte ihr, bewußt oder unbewußt mit dem Blick, bis sie in der Menge verschwand.
    So lief sie durch meine Kindheit, mit jedem Jahr

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