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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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die Ärmel aufkrempelt, und hellbrauner Hose und moosgrünen Schuhen, stand da und pinkelte ins Waschbecken. Er reagierte nicht mal, als wir hereinstürmten, als hätte er erwartet, daß genau das passieren würde.
    Stig Madsen wandte sich ab, wie vor Ekel. »Hier nicht! Scheiße! Dann versuchen wir’s im nächsten Stock.«
    Er zwängte sich an uns vorbei und hinaus. Jakob starrte auf das Tableau vor uns und sah mich hilflos an.
    Ich starrte zurück. Dann sah ich auf die Frau. Sie war alt genug, um es besser zu wissen. Sie war bei weitem nicht tot, außer geistig, und sie würde aufstehen und gehen, wie es alle mechanischen Puppen tun, in ein paar Minuten.
    Sie mußte sich nur ein bißchen ausruhen nach der langen Reise. Und den Schaffner hatte sie dabei. Er stand sogar noch da und schwenkte das Fähnchen: Bitte Platz nehmen, Türen schließen.
    Wir schlossen jedenfalls die Tür, als wir gingen.
    Draußen im Flur gab es tatsächlich ein bißchen Bewegungsfreiheit und einen Zug frischer Luft von unten.
    »Ich hau’ ab«, sagte Jakob. »Nach Hause«, fügte er hinzu, wie um sicher zu gehen, daß ich ihn richtig verstand. »Meldest du dich, spätestens Montag?«
    Ich nickte. »Bis dann. Tschüß.« Dann folgte ich Stig Madsen nach oben, mit einem Gefühl, als bestiege ich den Turm von Babel.
    »Sei vorsichtig!« rief Jakob mir nach. Dann war er verschwunden.
    Die Wohnung war nicht ganz so brechend voll, aber das Inventar war das gleiche und die Musik identisch. Die gleichen Lautsprecher stießen dieselbe Musik aus, dirigiert von einem dämonischen Diskjockey, irgendwo aus der Unterwelt. Wir pflügten suchend Furchen in die Masse, öffneten die Tür der leeren Toilette und suchten vergebens.
    Stig Madsen wischte sich Schweiß von der Stirn. Der Bart hing wie ein aufgespießter Tausendfüßler über seiner Oberlippe. »Wir versuchen es oben«, stöhnte er.
    Wir versuchten es oben. Oben waren schräge Decken. Durch eine kaputte Dachluke leckte Wasser herein und verursachte eine kreisförmige Lichtung in dem Wald von Menschenkörpern. Wir stellten uns genau dort auf die Zehenspitzen, bekamen langsam nasse Haare und starrten jeder in eine andere Richtung über den spärlichen Rest der Tanzfläche. Keine Belinda zu sehen, und kein Johnny.
    Auf der Toilette erwartete uns der unvermeidliche Höhepunkt unserer Tournee. Ein Mann mit dünnem Bart, die Brille tief die Nase hinuntergerutscht, mit einem völlig alkoholisierten roten Gesicht, saß auf der Brille. Auf seinem Schoß, die Beine gespreizt, saß eine Frau mit künstlichen grauen Strähnen im Haar, das rote Kleid bis über die Hüften hochgezogen, und ihr breites, weißes Hinterteil hing wie ein Mühlstein über dem, was wohl sein gequälter Mannesstolz sein mußte. Er sah ebenso glücklich aus wie ein Opfer der Inquisition. Ihre nähere Bekanntschaft machten wir nicht. Die Haarfarbe und das Kleid gehörten nicht der, nach der wir suchten. Wir schlossen die Tür vorsichtig wieder, ohne daß es den Anschein hatte, als hätte einer der beiden unseren Kurzbesuch bemerkt.
    Wieder draußen im Flur guckte mich Stig Madsen grimmig an, als sei es meine Schuld. »Sie ist weg.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Sieht so aus.«
    »Und wo ist Jakob hin?«
    »Er ist auch weg.«
    »So?« Er sah mich mißtrauisch an. Danach wandte er mir ohne weitere Kommentare den Rücken zu und verschwand auch.
    Ich ging wieder ins Erdgeschoß, kämpfte mich durch bis an die Bar und tauschte mir meine zweite Flasche Pseudochampagner ein. Ich trank ihn mit Widerwillen. Er war es kaum wert, daß man sich damit die Zähne putzte.
    Mit den Blicken suchte ich nach Bente Solheim und ihrem Kavalier, den Jakob Kapitän Krok genannt hatte.
    Ich sah keinen von beiden. Wer suchet, der findet, wird behauptet. Aber dies war nicht mein Tag. Es war niemand zu finden, und die schon da waren, verschwanden.
    Nachdem ich die Flasche geleert hatte, verließ ich das Etablissement mit einem letzten, schweifenden Blick über sie alle. Sie hätten in Sodom und Gomorrha Furore gemacht. Caligula hätte sich wie zu Hause gefühlt. Mir war die Nacht lieber.
    Es war Sonntag geworden. Zeit, um in die Kirche zu gehen, in Kunstausstellungen oder in die Berge. Zeit, um Kräfte zu sammeln. Zeit.
    Der smokingtragende Türsteher schloß hart die Tür hinter mir. Die Straße draußen war genauso verlassen wie eine Seitenstraße in Nord-Alaska und ungefähr genauso kalt.
    Von irgendwoher hörte ich laufende Schritte, die sich in der

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