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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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die andere Richtung sah. Da war er. Er hatte sich zu Jakob vorgearbeitet und stand neben dem Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, und starrte mich an, mit einem Blick wie ein Gitarrensolo auf einem ungestimmten Instrument.
    Ich drehte uns weiter und ließ sie uns im Profil sehen. Auf eine Weise sah ich mich selbst im Profil, wie ich mit Bella Bruflåt tanzte, die in weichem Leder gegen meinen Körper wallte, während meine Hände langsam ihre Oberarme hinunter, zu den Ellenbogen und weiter zu der schmalen Taille glitten, hinauf zu den Schulterblättern, die sich anfühlten, wie die Flügel geschlachteter Kleinvögel, und wieder hinunter zu ihrer Taille – und noch ein Stück tiefer. Dort ließen meine Hände sich nieder, am oberen Rand ihres Pos, und vorsichtig drückte ich sie noch ein paar Millimeter enger an mich. Ein schwaches Seufzen kam von irgendwo ganz tief in ihr, und abrupt hatte sie ihr Gesicht wieder nach oben gewandt. In ihrem Blick brannte ein Strohfeuer, als sie sich schnell auf die Zehenspitzen stellte, mich weich auf die Lippen küßte und sagte: »Ich muß nur eben … raus. Wartest du auf mich … hier?«
    Ich nickte. »Aber nicht mitten auf der Tanzfläche?«
    »Nein, aber hier. Ja? Du gehst nicht?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich würde nicht gehen, und wenn die Sintflut über uns hereinbräche und der letzte Bus zur Endstation mir davonführe; ich würde nicht gehen, ich war zu oft gegangen. Noch einmal küßte sie mich, weicher dieses Mal, und länger. Dann entwich sie, verschwand im wogenden Meer, tauchte auf wie eine Flasche in den Wellen, in unterschiedlichen Abständen, bis sie am Ausgang angelangt war, blieb dort stehen, warf mir nur mit den Lippen einen Kuß zu, winkte und war verschwunden.
    Ich stand wieder da, verwirrt wie ein Brummkreisel, unsicher, wohin ich gehen sollte: zurück zu Stig Madsen und Jakob, hinter ihr her zur Tür oder nur zur Seite, irgendwohin.
    Ich wählte ein Zwischending und ging zur Wand, südwestlich von Jakob und Stig Madsen, aber den Blick auf den nördlichen Ausgang gerichtet, wo immer neue Gesichter auftauchten, sich umsahen und wählten, sich entweder in die Menge hinauszubegeben oder ihr Glück ein Stockwerk höher zu versuchen.
    Jakob rief mich zu sich herüber. »Hei, Vaarg! Mach dich nicht so rar. Komm schon!«
     
    Ich änderte die Richtung und löste meinen Blick vom Ausgang, während ich mir eine Schneise zu ihm brach. Jakob starrte mir mit einer Art angespannter Amüsiertheit entgegen. Stig Madsen schaute düster drein, strich sich die dünnen Haarsträhnen noch fester über die blanke Glatze, blies sich in den Sgt.-Pepper-Schnauzbart und trat nervös auf der Stelle, während er unverwandt zur Tür sah.
    »Hallo«, sagte ich zu ihm. »Wir begegnen uns an den merkwürdigsten Orten zur Zeit, was?«
    Er antwortete nicht. »Wo wollte sie hin?«
    Ich sah ihn an, als verstünde ich nicht, wen er meinte. »Ah – Belinda?«
    »Bella! Wo wollte sie hin?«
    »Sie sagte, sie – müßte nur mal – raus. «
    »Raus und den Pudel pudern«, sagte Jakob.
    Stig Madsen schnaubte und zog eine Grimasse mit den Lippen.
    Jakob sagte: »Kommt der Johnny nicht?«
    Stig Madsen sah an ihm vorbei. »Doch, doch. Er wollte kommen. Aber er hatte erst noch was zu tun. Wir sollten schon vorgehen.«
    Jakob sah vielsagend zur Tür. »Hat er zur Zeit – feste? Der Johnny?«
    Stig Madsen antwortete irritiert: »Nicht, soweit ich weiß. Nur den alten Harem.«
    »Er hat sich, mit anderen Worten, nicht verändert?«
    Stig Madsen sah mich an. »Wie lange ist sie jetzt schon draußen?«
    Ich antwortete zögernd: »Vier Minuten? Fünf, sechs …«
    »Du mußt damit rechnen, daß da ’ne Schlange ist«, sagte Jakob.
    »Und in dem Fall kann sie es auf einer anderen Etage versucht haben. Aber ich kann verstehen, daß du unruhig bist. Ein Mädchen wie Bella Bruflåt durchquert im Zweifelsfall diese Räume nicht unbedingt unberührt von Menschenhand.«
    Stig Madsen warf ihm einen düsteren Blick zu. Ein Muskel zuckte an einer Seite seines Kiefers. »Ich bin nicht unruhig.«
    Aber die Zeit verging. Jetzt waren zehn Minuten vergangen, und während wir dastanden und warteten und warteten, war es plötzlich schon eine Viertelstunde.
    Die Situation kam mir plötzlich bekannt vor. In einem vielschichtigen Flackern sah ich Mädchen, die ich zum Tanzen aufgefordert hatte und die Nein gesagt hatten, Mädchen, die ich zum Tanzen aufgefordert hatte und die so getan hatten, als sähen sie mich nicht und

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