Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
blassen Eindruck. Seine Gesichtsfarbe war eine Nuance heller als die Asche seiner toten Zigarettenkippe, und er sah aus, als hätte er im Juli versucht, Weihnachtsbäume zu verkaufen.
    Ich nahm Platz auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch und sah zu Ellingsen auf, der sich vor die Tür stellte, als hätte er Angst, ich würde abhauen.
    Muus schüttelte den Kopf. »Ich begreife nicht, daß sie dich haben laufenlassen. Wie viele Beweise hast du vernichtet, wie viele Alibis produziert?«
    »Es war dann jedenfalls im Schlaf.«
    »Aber du behauptest immer noch, daß du ihn nur gefunden hast?«
    »Was sollte ich sonst behaupten?«
    »Und dieser Mann, den du also gefunden hast …«
    »Johnny Solheim.«
    »Richtig. Stimmt es, daß du ihn – kanntest?«
    Ich nickte. »Wir sind im selben Stadtteil aufgewachsen. Aber ich hatte ihn fünfzehn, zwanzig Jahre nicht gesehen, bis – gestern.«
    »Gestern? … Und wann gestern?«
    »Das heißt – vorgestern. Ein anderer Kumpel und ich waren – eine Runde durch die Kneipen. Wir waren auch kurz in einem Restaurant, wo Johnny Solheim auftrat, und dann besuchten wir ihn in der Pause.«
    »Besuchten?«
    »Ja! Hallo sagen eben.«
    »Und warum?«
    »Tja. Als alte Bekannte. Einfach so.«
    »Einfach so?«
    »Ja.«
    »Und das war Freitag. Richtig?«
    Ich nickte.
    »Und eineinhalb Tage später war er – plötzlich tot.« Muus schielte zu Ellingsen hinauf und sagte: »Einfach so.« Danach wandte er seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. »Und gestern? Samstag?«
    »Samstag … besuchte ich ihn wieder.«
    »Was du nicht sagst! Um weiter zu reden, von alten Zeiten?«
    Ich sah an ihm vorbei, ohne zu antworten.
    Er beugte sich vor. »Nicht? Worüber denn?« Er lehnte sich wieder zurück, nahm eine Akte in die Hände und blieb so sitzen. »Als wir mit seiner Frau gesprochen haben – der Witwe heißt das wohl jetzt –, stellten wir ihr unter anderem einige übliche Routinefragen.«
    »Wann kam sie nach Hause? War sie da, als ihr …«
    Sein Gesicht war wie aus Granit, die Augen wie Eiskegel. »Eine der Fragen, die wir ihr stellten, lautete: Passierte gestern etwas Ungewöhnliches?«
    »Aha. Und?«
    Er schlug die Akte auf und holte eine Visitenkarte heraus. Ich erkannte sie sofort wieder. Es war meine eigene. »›Ja‹, sagte die Frau. ›Gestern kam ein Mann und fragte nach Johnny, weil er mit ihm sprechen wollte. Ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte‹, sagte die Frau. ›Aber er gab mir diese Karte …‹«
    Er machte eine lange und gemächliche Pause. »Na, Veum? Worüber wolltest du mit Johnny Solheim reden?«
    Ich antwortete nicht.
    »Vielleicht hast du es ihm ja gesagt, so ungefähr gegen zwei Uhr heute nacht?«
    »Nein. Nein. Ich hab’ es ihm nicht heute nacht gesagt. Ich hab’ ihn getroffen, gleich nachdem ich mit seiner Frau geredet hatte, da, wo sie mir gesagt hatte, daß er wahrscheinlich sein würde, nämlich in seinem Video-Shop unten im Kringsjåvei. Die Dame, die da über seinem Tresen hängt, kann das bestätigen. Dasselbe kann ein Mann namens Stig Madsen. Ich hab’ den Leuten am Tatort das alles gesagt, Muus! Es gibt keinen Grund, Versteck zu spielen. – Nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, sah ich ihn nicht wieder, bis – also …« Ich hob resigniert die Hände.
    »Aha. Und es war ganz zufällig, daß du gerade da warst, in genau derselben kleinen Gasse wie er, nachdem ihr euch vorher fünfzehn, zwanzig Jahre nicht gesehen hattet. Du solltest Einfach so auf deinen Grabstein schreiben, Veum.«
    »Ich dachte eigentlich, das sei dein Spruch«, sagte ich.
    »Also, worüber habt ihr geredet?« schnauzte er.
    Ich antwortete nicht.
    »Du weigerst dich?« Er lief langsam rot an, auf die für ihn charakteristische Weise, in einem Farbton, der an verfaulte Pflaumen erinnerte. »Dann habe ich die große Freude, dich zu bitten, die Nacht in unserer vornehmsten Suite für Untersuchungsgefangene zu verbringen. Acht Quadratmeter und eine Luftluke im Keller. – Wünscht der Herr, zu einer bestimmten Zeit geweckt zu werden?«
    Ich sagte bissig: »Ich fürchte, ich werde nicht schlafen. Gibt’s eine Möglichkeit, mit einem Anwalt zu reden?«
    Er lächelte eines seiner Speziallächeln. Es war ungefähr viereckig. »Selbstverständlich, Veum. – Morgen. – Morgen gibt es Untersuchungsrichter und Anwälte und alles, was sonst noch zu den Festlichkeiten gehört. Presseartikel und Morgenkonferenzen, Fingerabdrücke und Zeugenverhöre. Nichts wird mehr wie früher sein, Veum.

Weitere Kostenlose Bücher