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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Nichts.«
    »Ich bedanke mich. – Und wer bringt mich nach unten?«
    »Das macht Ellingsen. – Und, Ellingsen, leg ihm diesmal Handschellen an. Das sieht irgendwie besser aus.«
    »Aber wir nehmen doch wohl nicht den Fahrstuhl, oder?«
    Muus lächelte. »Doch, nur zu gerne. Fahr doch mit ihm Fahrstuhl, Ellingsen. Ein paarmal rauf und runter. Da werden sie so zahm. Und gestehen das meiste.«
    »Ich hab’s als Witz gemeint«, sagte ich.
    »Ich auch«, sagte Muus.

18
    Die Zelle war genauso luxuriös, wie er versprochen hatte. Acht Schritte lang und vier Schritte breit umfaßte das Areal. Mein Marathontraining würde ernstlich zu kurz kommen, wenn ich mich hier viel länger als einen Tag aufhielt.
    Hoch oben an einer Wand hätte ein schmales Fenster mit mattem Gitterglas Tageslicht hereingelassen, wenn es nicht schon so spät gewesen wäre. An einer Wand hing eine Pritsche und in einer der hinteren Ecken war ein Abfluß im Boden, in den ich hätte hineinkriechen können, um mich zu verstecken, wenn ich so klein wie ein Spielzeugmaus gewesen wäre. Wenn nicht, konnte ich ihn für andere vergnügliche Aktivitäten nutzen.
    Ein paar Hotelzimmer weiter sang eine spröde Stimme eine äußerst persönliche Version von Stille Nacht, heilige Nacht. Aus der anderen Richtung tönte leises, rappelndes Murmeln wie bei einer Heringsauktion der schwarzen Seelen. Im Laufe des Abends wurde es lebhafter, als sie die unbezähmbarsten Zechbrüder dieses Wochenendes anschleppten und den Bodensatz aus den muntersten Gläsern des Sonntags ausgossen.
    Ich legte mich auf der Pritsche auf den Rücken, die Hände unter dem Nacken und mit geschlossenen Augen.
    Erst jetzt würde mir schlagartig bewußt, daß Johnny Solheim tot war, wie bei einem verspäteten Schock. Wie bei allen plötzlichen Todesfällen dauerte es seine Zeit, bis man wirklich begriff, was passiert war. Daß jemand einen definitiven Strich gezogen hatte, daß jemand niemals mehr zurückkam.
    Ich sah ihn vor mir, wie er unten an der Kellertreppe auf dem Rücken lag, wie ein Säufer auf der Rolle. Ich sah seinen Blick, als er mich entdeckte, bar jeden Hohns und voller dumpfer Verzweiflung. Ich sah seinen Mund, als er ihn öffnete, um etwas zu sagen, das Blut, das zwischen den Lippen hervorströmte, mit großen Luftblasen darin, und den Blick, der plötzlich nicht mehr da war, all das Weiße in seinen Augen. Ich sah die verlassene Straße vor mir, die grau-weißen Schneeregenflocken, die vom schweren Himmel fielen, ein Wolfswind, der im Rudel durch die Straße sauste, und ich hörte … Den Klang laufender Schritte! Wäre ich eine halbe Minute früher herausgekommen, hätte ich vielleicht alles gesehen, wer lief, wen Johnny Solheim getroffen hatte, wer ihn getötet hatte.
    Johnny Solheim. Ich hatte fünfzehn, zwanzig Jahre keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt. In den letzten Tagen hatte ich ihn zweimal getroffen. Und jetzt war er plötzlich tot.
    Ich hatte ihn nicht mehr gekannt. Er war einer, den ich in einer Zeit gekannt hatte, die lange verloren war, aber ich hatte das Gefühl, sie langsam wiederzufinden. Es war ein Gefühl, als würde ich in die Vergangenheit zurückgezogen, durch einen dunklen Tunnel, um dann wieder auf die Straße geworfen zu werden, am Ende des Tunnels, irgendwann vor mehr als dreißig Jahren.
    Noch einmal kamen wir aus der Schule, Pelle und ich, der Paul und Jan Petter. An der Hotelfachschule vorbei, wo der Boxer Lasse, uralt wie Methusalem, ständig auf der Treppe zur Straße hin wachte. Wir bogen in den Nordnesvei ein und hatten einen offenen Ausblick auf Troyebygget, Trolboden, den Skoltegrunnskai und die Amerikafähren. Rechts lagen die ersten Neubauten, die Rot-Kreuz-Häuser genannt wurden, weil sie Ersatzwohnungen für diejenigen enthielten, die dort während des Krieges ihr Zuhause verloren hatten, in denen aber hauptsächlich Zugezogene aus anderen Stadtteilen wohnten. Links wandte der Haugenvei uns den Rücken zu: hohe, enge Hinterhöfe, in denen bis in alle Ewigkeit Laken zum Trocknen hingen wie weiße Flaggen als Bitte um freies Geleit. Auf der Mitte lag das Seilmakerhus als eine graue Wand, und dahinter war alles wie früher. Dort lag ein kompaktes Viertel mit zusammengewachsenen Holzhäusern, Gassen voller Winkel und Ecken, kleinen Quergängen und Winkeln, unerwarteten Treppen und dem einen oder anderen eingezäunten Hinterhof. Dort unten, in einem grünen Haus, wohnte ich. Und in einem grauen Haus, ein Stück in Richtung Fitznersmauet, wohnte

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