Gefallene Engel
Landschaftsgemälde mit japanischen Motiven (der Fudji-Berg und Kirschbaumblüten). Das einzige, was hervorstach, war ein großes Porträt von Elvis Presley mitten unter den gewöhnlichen Familienfotos, die auf einem länglichen Sekretär mit durchsichtigen Glastüren standen.
Es war still im Haus.
Bente Solheim sah mich ausdruckslos an. »Die Kinder sind bei meiner Mutter. Ich mußte einfach ein paar Tage allein sein.«
Ich sagte zurückhaltend: »Ja, das war sicher ein ganz schöner Schock.«
Sie nickte.
»Wie lange wart ihr verheiratet?«
»Seit 1978. Im November acht Jahre.«
»Und ihr habt – wie viele Kinder?«
»Drei. Der kleinste ist erst zwei Jahre alt. Olaf Martin.«
»Ich – kannte Johnny ja gut, von früher. War er derselbe, der er immer war?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja … Er hatte ja eine schwierige Kindheit. Hatte er Kontakt zu seiner Mutter?«
»Da müßte er schon übernatürliche Kräfte gehabt haben. Sie starb in dem Winter, als wir geheiratet haben. Im Januar. –Johnny sagte immer, sie sei aus Erleichterung gestorben.« Sie lächelte schwach. »Darüber, daß er endlich eine ordentliche Frau gefunden hatte.«
»Dann hatte sie für seine vorige wohl nichts übrig?«
»Nein, sie … Sie hat sich mir anvertraut …« Wieder das kurze Lächeln. »Daß sie damals heiraten mußten. Daß sie Anita das nie verziehen hätte. – Denn es war natürlich ihre Schuld. Nicht Johnnys.« Nach einer Pause fügte sie hinzu, nachdenklich: »Das war natürlich viel schlimmer – heiraten zu müssen, 1962, als heute.«
»Heute ist der Begriff aus dem Sprachgebrauch verschwunden, oder nicht? Die Leute bekommen Kinder und wohnen zusammen – und gehen wieder auseinander, hätte ich beinah gesagt –, bevor sie heirateten. Wenn sie an einem Samstag mal nichts vorhaben. Und es sonst auch gerade so paßt.«
»Ja, wir mußten jedenfalls nicht. Wir haben Leif erst im Oktober darauf gekriegt. Er geht jetzt in die Schule, in die Erste.«
»Und Johnnys Vater? Hat er jemals was von ihm gehört?«
»Nie. Er sprach auch nicht von ihm. Nicht ein Wort. – Weißt du, was …«
»Ich kann mich nur vage an ihn erinnern, aus der Zeit, als wir klein waren. Er hatte die schlechte Angewohnheit, sowohl Frau als auch die Kinder durchzuprügeln, wenn er in der entsprechenden Laune war. Johnny hat da einiges durchgemacht.«
Sie nickte und konnte es sich nicht verkneifen, sich an die Wange und den schwachen Bluterguß dort zu fassen.
Ich verfolgte das Thema nicht weiter. Das war nicht nötig.
»Am Samstag … Du warst ja selbst auch in der Stadt unterwegs, oder?«
Sie betrachtete mich scharf, mit plötzlichen Flammen auf den Wangen. »Was meinst du?«
Ich lächelte entwaffnend. »Ich hab’ dich gesehen. Ich war auch da. Die – Perücke stand dir gut.«
Ihr Gesicht war noch immer gespannt. »Du mußt nicht denken, daß – die Polizei hat schon – ich hatte nichts mit – damit zu tun.«
»Nein, nein. Das wollte ich auch gar nicht …«
»Es war nur so eine – Absprache zwischen Johnny und mir. Wo er so viel unterwegs war an den Wochenenden, bei allen möglichen Auftritten, da mußte ich auch ausgehen dürfen, wenn ich wollte. Solange ich nicht … Solange nichts passierte. «
»Das klingt fair. Aber du mußt zugeben, daß es ein komisches – um nicht zu sagen ein tragisches – Zusammentreffen war. Daß du da drinnen tanztest, während Johnny … ja … draußen.«
Sie nickte stumm.
»Hattest du ihn da erwartet?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Der, mit dem du getanzt hast, wer war das?«
Sie hob die mageren Schultern. »Nur einer, den ich dort traf. Ein netter Kerl. Zahnarzt.«
»Ja, es gibt solche. – Er wollte also nicht mit dir nach Hause, um sich deine Füllungen anzusehen?«
Sie errötete wieder. »Er brachte mich zum Taxi. Das war alles.«
»Und du hattest ihn noch nie gesehen?«
»Nein, sag’ ich doch!«
»Und er sprach nicht von Johnny? Als würde er ihn kennen?«
»Überhaupt nicht! Wir redeten überhaupt nicht – von so was.«
»Und wer von euch hat die Initiative ergriffen? Als erster?«
Sie sah an mir vorbei. »Er hat gefragt, ob ich tanzen wollte.«
Ich nickte. »Okay. Sag mal … Die letzten Tage, die letzten Wochen, bevor es passierte. Es ist nichts Ungewöhnliches gewesen? Etwas, das eine Art – Vorwarnung hätte sein können?«
»Vorwarnung? Nein, ich … Das einzige …« Sie stand auf und ging zum Sekretär. Hinter den Glastüren standen Gläser in verschiedenen
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