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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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»Das ist vielleicht gar nicht so schwer vorstellbar. Fünf besoffene Kerle. Anita Solheim war nicht zu Hause – keine Ahnung, wo sie war. Aber ihre Töchter. Sissel war erst vier, aber Ruth … dreizehn.«
    Ein unterdrückter Seufzer, fast wie ein Schluchzen, entwich Eva Jensens Lippen. Nein, sagte sie stumm, ohne einen Laut.
    Vegard Vadheim war blaß geworden. »Du meinst …«
    Ich nickte.
    »Aber du weißt nichts, Veum?«
    »Sie schweigen wie Austern, alle wie sie da sind. Die, die noch leben, meine ich, und die etwas wissen müßten. –Vielleicht, wenn ich mit Ruth sprechen würde …«
    »Sie ist rauschgiftsüchtig, sagst du, und auf Lindås?«
    Ich nickte.
    »Sie wird auf keinen Fall uns was sagen! Die Sorte hat gelernt, die Klappe zu halten, wenn wir sie was fragen.«
    »Also könnte ich dir vielleicht einen Gefallen tun?«
    Er lehnte sich vor. »Dein Vorteil ist, Veum – gerade in diesem Fall –, daß du sie alle kennst, von früher. Und du kommst inoffiziell. – Ich werde alle fünfe gerade sein lassen, was die unkonventionellere Seite des Falls betrifft, dieses Mal! Ist das okay?«
    Ich lächelte, sah in Richtung Nachbarbüro und sagte halblaut: »Muus! Hörst du?«
    Vadheim fuhr irritiert fort: »Das bedeutet nicht, daß ich hier Däumchen drehen werde. Jetzt sind sie alle ernstlich dran. Dein guter Freund Jakob Aasen, Anita Solheim, Halldis Heggøy … Hast du mitgeschrieben, Eva? Laß sie zum Verhör abholen, alle!«
    Eva Jensen sah ihn an. »Sofort?«
    »Augenblicklich. Und du, Veum …«
    »Ich fahre nach Lindås und rede mit Ruth Solheim. Aber …« Ich sah auf die Uhr. »Nicht vor morgen.«
    »Hast du vielleicht noch andere Verabredungen?«
    »Vielleicht.«
    »Und mit wem, wenn ich fragen darf?«
    »Was, wenn ich Reb … Frau … Jakob Aasens Frau besuchte. Die ihn gerade verlassen hat, um herauszufinden, auf meine Weise, wieviel sie eigentlich von der Sache wußte?«
    Vadheim blätterte in den Akten, die er vor sich hatte. »Jakob Aasens Frau. Wie hieß sie noch gleich? Rebecca?«
    Ich nickte langsam. »Ja«, sagte ich. »Sie heißt Rebecca.«

34
    Ich war wieder in der Fosswinckelsgate. Bevor ich klingelte fiel mir plötzlich ein, daß es genau eine Woche war bis Heiligabend. Irgendwo in der Stadt spielte ein Weihnachtsmannorchester mit blaugefrorenen Fingern auf kalten Musikinstrumenten Weihnachtslieder: ein spröder, etwas ferner Ton, wie von einem Miniaturorchester in einer Glaskugel.
    Der Dezember war entthront. Hinter den Masken trugen die Weihnachtsmänner gierige Lächeln, und die Ladenbesitzer hatten die Hände in den Kassen gefaltet. Und noch war es eine Woche hin, bis die Kirchenglocken Weihnachten einläuteten und selbst die Eiligsten plötzlich von der Ruhe eingeholt würden, der unvermittelten Feierlichkeit, einem Schimmer von Religiosität und dem Duft von Karpfen aus der Küche.
    Ich faltete die Gedanken zusammen und steckte sie in die Manteltasche. Alles zu seiner Zeit. Ich klingelte.
    Helga Bøe kam an den Lautsprecher mit einer Stimme wie ein Steinbrecher. »Ja, bitte?«
    »Ich bin’s, Veum, du erinnerst dich? – Ist Rebecca da?«
    »Nein. Sie ist gerade weggegangen.«
    »Und wie lange ist gerade her?«
    »Was geht dich das an?« sagte Helga Bøe und unterbrach die Verbindung.
    Ich stand da und starrte den Lautsprecher an, während ich mich fragte, wie ich ihn am effektivsten kaputtmachen konnte, als die Tür plötzlich aufging und zwei Menschen herauskamen.
    Beide zuckten zusammen, als sie mich sahen, als hätte ich sie bei irgend etwas auf frischer Tat ertappt. Berge Brevik sah mich mit einem Ausdruck von akuter Migräne im Gesicht an. »Oh, hallo … Veum, stimmt’s?« murmelte er verwirrt.
    Rebecca schüttelte den Kopf und hielt ihn dann etwas schräg, während ihr Mund den mürrischen Ausdruck annahm, der verriet, daß sie nicht ganz sicher war, was sie sagen sollte. »Varg?«
    Ich sah schnell von einem zum anderen und verweilte dann bei ihr. »Ich – da war nur etwas, worüber ich mit dir reden wollte, Rebecca.«
    Sie zog den Ärmel des hellbraunen Wildledermantels hoch, um ihre Armbanduhr sehen zu können. »Ich muß einen Bus erreichen, Varg. Es ist Elternabend in der Schule.«
    »Es wird nicht lange dauern. Ich kann dich hinfahren.«
    »Mich hinfahren?«
    »Ja? Ich habe einen Führerschein.«
    Berge Brevik räusperte sich. »Tja, ich muß jedenfalls weiter. – Wir sehen uns.« Er sah mich kurz an und murmelte beim Weggehen: »Ich hab’ nur kurz

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