Gefallene Engel
überlegten uns, was wirklich geschehen würde. Wir wussten, wenn wir den Fund melden, würden wir die Kontrolle darüber verlieren. Die Gilde würde einen Meister mit den richtigen politischen Verbindungen einfliegen lassen, der die Leitung des Projekts übernehmen würde. Uns würde man mit einem freundlichen Schulterklopfen nach Hause schicken. Natürlich würde man uns erlauben, in den akademischen Dschungel zurückzukehren, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Wir würden veröffentlichen können, aber erst nach sorgfältiger Prüfung, ob nicht zu viel Wycinski in unseren Texten steckt. Wir würden arbeiten können, aber nicht auf unabhängiger Basis. In Beratungsfunktion…« – sie sprach das Wort aus, als hätte es einen schlechten Geschmack – »bei den Projekten anderer Leute. Man würde uns gut bezahlen, aber nur, damit wir die Klappe halten.«
»Besser, als gar nicht bezahlt zu werden.«
Eine Grimasse. »Wenn ich als zweite Schaufel für irgendeinen glattgesichtigen politisch akzeptablen Drecksack hätte arbeiten wollen, der nur über die Hälfte meiner Erfahrung und Qualifikation verfügt, hätte ich wie alle anderen in die Pampa gehen können. Der Hauptgrund, warum ich überhaupt hierher gekommen bin, war der, dass ich meine eigene Grabung haben wollte. Ich wollte die Chance erhalten, zu beweisen, dass etwas, wovon ich überzeugt bin, richtig ist.«
»Haben die anderen genauso intensiv empfunden?«
»Am Ende, ja. Zu Anfang haben sie sich nur von mir einstellen lassen, weil sie Arbeit brauchten und zu diesem Zeitpunkt sonst niemand Kratzer suchte. Aber es verändert einen, wenn man ein paar Jahre als Geächteter lebt. Und sie waren jung, jedenfalls die meisten. In diesem Alter hat man noch genug Energie für Zorn.«
Ich nickte.
»Könnten es jene sein, die wir in den Netzen gefunden haben?«
Sie wandte den Blick ab. »Ich befürchte es.«
»Aus wie vielen Leuten bestand das Team? Wie viele hätten hierher zurückkehren und das Tor öffnen können?«
»Ich weiß es nicht genau. Etwa ein halbes Dutzend waren tatsächlich von der Gilde qualifiziert, darunter vielleicht zwei oder drei, die es hätten tun können. Aribowo. Vielleicht Weng. Techakriengkrai. Alles gute Leute. Aber ganz allein? Nur mit den eigenen Notizen arbeiten, zusammen mit den anderen?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es wirklich nicht, Kovacs. Es war… eine andere Zeit. Wir waren ein Team. Ich habe keine Ahnung, was diese Leute unter anderen Bedingungen bringen könnten. Kovacs, ich weiß nicht einmal, was ich noch bringen kann!«
Ihre Worte lösten bei mir – ungerechtfertigt – eine Erinnerung aus, wie sie unter dem Wasserfall gestanden hatte. Dann verwickelten sie sich in meinen Eingeweiden. Ich suchte nach dem verlorenen Faden.
»Dann dürften ihre DNS-Daten in den Archiven der Gilde in Landfall gespeichert sein.«
»Ja.«
»Und wir können sie mit der DNS aus den Knochen vergleichen.«
»Ja, ich weiß.«
»… aber es dürfte schwierig werden, von hier aus Zugang zu Daten in Landfall zu erhalten. Und um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, ob uns damit geholfen wäre. Es ist mir ziemlich egal, wer sie waren. Ich will nur wissen, wie sie in diesem Netz gelandet sind.«
Sie erschauderte.
»Wenn sie es sind…«, begann sie. »Ich will gar nicht wissen, wer sie sind, Kovacs. Das brauche ich nicht.«
Ich überlegte, ob ich sie berühren sollte, ob ich die kurze Distanz zwischen unseren Stühlen überbrücken sollte, doch dann wirkte sie plötzlich genauso dürr und in sich gefaltet wie das Ding, das wir enträtseln wollten. Ich konnte an ihrem Körper keine Stelle erkennen, an der eine Berührung nicht aufdringlich, sexuell oder einfach nur albern gewirkt hätte.
Der Moment ging vorbei. Und war gestorben.
»Ich werde etwas schlafen«, sagte ich und stand auf. »Sie sollten dasselbe tun. Sutjiadi dürfte uns im ersten Licht der Dämmerung nach draußen scheuchen.«
Sie nickte unbestimmt. Den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit hatte sie längst von mir abgezogen. Ich vermutete, dass sie einen Blick in den Tunnel ihrer Vergangenheit warf.
Ich ließ sie zwischen den zerrissenen Fetzen ihrer Technoglypenskizzen allein.
21
Als ich aufwachte, fühlte ich mich groggy, entweder von der Strahlung oder den Chemikalien, die ich eingenommen hatte, um ihre Folgen zu unterdrücken. Durch das Schlafzimmerfenster der Ballonkammer kroch graues Licht und aus meinem Hinterkopf ein halb erkennbarer
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