Gefallene Sonnen
gerechnet, dass der Weise Imperator hierher kommen würde. Dies war keine militärische Auseinandersetzung, sondern ein Willenskampf.
Jora’h hoffte, ein Gefecht vermeiden zu können. Erneut streckte er seine Gedanken aus und suchte nach den Seelenfäden, die ihm sein wahnsinniger Bruder gestohlen hatte. Die Soldaten an Bord der gerade von Hyrillka gestarteten Schiffe standen nicht unter der Wirkung von Schiing, und dadurch wurde es viel schwerer, sie ins richtige Thism zurückzuholen.
Die Verteidiger näherten sich und schienen wirklich bereit zu sein, sich zu opfern. Jora’h wusste, dass die Rebellen an Bord das Feuer eröffnen und sogar Kollisionen herbeiführen wollten, um möglichst großen Schaden anzurichten.
Er musste sie aufhalten. Jora’h schloss die Hände ums Geländer des Kommando-Nukleus, achtete nicht auf die Sorge in Tal O’nhs Gesicht und nahm seine ganze geistige Kraft zusammen. Mit Schiing-Gas in den Belüftungssystemen der Rebellenschiffe hätte er die Seelenfäden lösen und seinem eigenen Netz hinzufügen können. Unter den gegenwärtigen Umständen blieb ihm nichts anderes übrig, als sie mit roher Gewalt loszureißen, um die Fixierung auf Rusa’h aufzuheben. Er konnte nur hoffen, dass er die betreffenden Soldaten dabei nicht umbrachte.
Mit flinken mentalen Fingern zeichnete er ein komplexes Netz aus Seelenfäden und sah nun alles vor seinem inneren Auge: Die perlweißen Linien seiner eigenen Verbindung mit der Lichtquelle wanden sich, ohne es zu berühren, um ein zweites, straff gespanntes Netz, das nicht aus zarten Strängen bestand, sondern aus silbrigem geistigen Draht – Rusa’hs Netz.
Jora’h tastete nach diesen Strängen und spürte, wie sie Widerstand leisteten. Das andere Thism bildete ein festes Muster, das er lösen musste. Worte kamen zwischen seinen zusammengepressten Lippen hervor. »Ich bin der Weise Imperator. Ich… brauche kein… Schiing!«
Jora’h musste die Seelenfäden des anderen Netzes durchschneiden und die betreffenden Ildiraner befreien, aber dabei gab es auch einen Moment der Gefahr. Nach der Loslösung war jeder von ihnen verwirrt, ohne Halt in irgendeinem Thism. Sie würden ins Nichts fallen, und er, das wahre Oberhaupt des ildiranischen Volkes, musste sie auffangen.
Er zerrte an den mentalen Drähten und löste seine irregeleiteten Untertanen aus dem Netz. Seine Gedanken griffen nach den Drähten, als sie sich lockerten. Dort! Er nahm einige, verwandelte den Draht in weiche Fäden und hieß die Rückkehrer willkommen. Aber es gab noch viele andere, die er befreien musste. Er zerrte erneut und konzentrierte sich ganz darauf. Er entdeckte Stränge, die mit anderen Strängen verknotet waren, und hier und dort baumelten lose Enden. Jora’h streckte sich ihnen entgegen und hörte Verzweiflung und Furcht von den Personen, die getrennt worden waren. Er hatte zu hart gezogen, und dadurch waren die Seelenfäden gerissen! Während er viele gerettete Rebellen aufnahm, gingen andere für immer verloren. Sie sanken fort, verloren sich in geistiger Dunkelheit.
An Bord der Schiffe, die Jora’hs Flotte entgegenflogen, sanken einigen Rebellen zu Boden, die zu tief in dem neuen Glauben verwurzelt waren. Sie erlitten Hirnschäden oder starben gar. Er hatte sie zu ungeschickt aus Rusa’hs Netz gelöst, und dadurch gingen sie verloren. Jora’h fühlte sie in seinem Herzen, konnte ihre Thism-Fäden aber nicht erreichen.
Er durfte jetzt nicht innehalten. Die Raumschiffe rasten mit einsatzbereiten Waffen aufeinander zu.
Jora’h strengte sich an, dehnte sein Bewusstsein und versuchte, alle Rebellen aufzunehmen, bevor es zu spät war. Eins der Schiffe feuerte eine Salve ab, die das nächste Kriegsschiff beschädigte.
»Nein«, brachte Jora’h hervor, die Augen noch immer geschlossen. »Das Feuer nicht erwidern! Tal O’nh, ich… befehle es!«
Der Kommandeur der Kohorte wandte sich per Kom-Verbindung an den Rest der Flotte. »Keine offensiven Maßnahmen! Adar Zan’nh, der Weise Imperator befiehlt, das Feuer nicht zu erwidern.«
»Bestätigung. Ausweichmanöver.«
Jora’h zog noch immer an dem anderen Thism-Netz, berührte sanft, wenn es möglich war, oder zerrte mit Nachdruck, wo es sich nicht vermeiden ließ. Viele Knoten lösten sich, und er griff nach den Fäden. Die geistige Anstrengung war enorm.
Dann, als wäre ein Schalter betätigt worden, kehrten die miteinander verbundenen Gedanken und Präsenzen der übrigen Rebellen plötzlich zu ihm zurück.
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