Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
wusste gar nicht, wie ich Bettina danken sollte.
»Frau Serkenstiel, bitte die NEUN !«, kam es wieder aus dem Lautsprecher.
»Ja, gleich«, sagte Bettina gelassen. »Gerti, ich weiß, dass du das Geld bis auf den letzten Pfennig bezahlen wirst«, unterbrach Bettina mein hilfloses Gestammel. »Ich kenne dich und weiß, dass du eine ehrliche Seele bist.«
»Ach, Bettina, was würde ich bloß ohne dich machen?«
»Dafür sind alte Freunde da!«, sagte Bettina aufmunternd. »Frau Serkenstiel, bitte die NEUN !«
Bettina schleuste mich diskret zur Kasse und tippte eine furchterregend lange Zahlenkolonne ein, bis endlich das erlösende »Ping« ertönte. »Das macht insgesamt dreihundertsechsunddreißig Mark und vierundachtzig Pfennige.«
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. »Das zahle ich dir noch vor dem ersten Mai zurück. Ich schwör’s!«
»Lass dir Zeit. Bis Juli kann ich hier anschreiben. Ich versteh mich gut mit der Che fi n.«
»Frau Serkenstiel, bitte die NEUN !«
» NOCH «, sagte Bettina und verdrehte genervt die Augen.
»Entschuldige, dass ich dich von deiner Arbeit abhalte … «
»Gerti, du musst dich nicht entschuldigen!«
»Danke, Bettina!« Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, kamen mir schon wieder die Tränen. »Geht schon wieder. Aber so tief muss man erst mal sinken, dass man auf dem Markt die Tomaten vom Boden aufsammeln muss … «
»Ach, Gerti, wenn ich mich daran erinnere, was du über deine Kindheit erzählt hast … « Bettina steckte mir ein Taschentuch zu. »Damals ging es dir schlechter als jetzt. Du hast immerhin Schuhe und eine Jacke an!«
»Gehören mir nicht«, flüsterte ich beschämt.
»Egal«, sagte Bettina. »Wenn es eine schafft, dann du!«
Ich entwickelte einen fast schon unheimlichen Kampfgeist. Mit meinen knapp fünfundvierzig Kilo machte ich mich auf Arbeitssuche, direkt nachdem Thomas und Bernd am nächsten Morgen mit ihren neuen Fahrrädern zur Schule gefahren waren. Ich werde etwas finden, beschwor ich mich selbst. Ich gebe nicht auf, ich schaffe das, ich habe schon so viel geschafft, und meinen Kindern wird kein Haar gekrümmt werden.
Ich lief an einem Kindermodengeschäft vorbei. Ein Schild hing im Fenster: »Verkäuferin gesucht!« Hier hatte ich früher oft eingekauft. Ralf Meerkötter, der Besitzer, kannte mich als treue und solvente Kundin. Eine halbe Stunde später hatte ich den Job.
Ich blieb gleich da, krempelte die Ärmel hoch und begann zu arbeiten. Schon bald war ich ganz in meinem Element. Die Menschen, die mich erkannten, drehten sich nach mir um und tuschelten: »Ist sie das nicht? Die Frau vom Kohle-Wolf? Ist sie wieder zurück?«
Walter hatte eine Zweizimmerwohnung in einem benachbarten Wohnblock für uns gefunden und half mir beim Einrichten. Er montierte mir Regale, schleppte drei einfache Bettgestelle an, einen Tisch, drei Stühle und ein Sofa.
Die Kinder teilten sich ein Zimmer und fanden das gemütlich, und ich hatte eines für mich. Sie fragten nicht nach Südafrika. Dafür waren sie viel zu sehr mit ihren neuen Freunden beschäftigt und mit ihrer neuen Fußballmannschaft, die sich abends zum Bolzen im Garagenhof der Siedlung traf. Der Frühling zog ins Land, die Abende wurden länger und milder, auf der Teppichstange vor dem Küchenfenster saß eine nimmermüde Amsel, deren Gesang mir Zuversicht einflößte. Ich würde es schaffen. Ich wollte meinen Kindern ein schönes Zuhause schaffen und würde wie eine Löwin dafür kämpfen. Der Anwalt kümmerte sich um die Scheidung und konnte mir guten Gewissens Hoffnungen machen:
»Sie haben gute Chancen, Frau Wolf. Sie haben alles richtig gemacht. Nur weiter so!«
Als wir endlich wieder einigermaßen festen Boden unter den Füßen hatten, fasste ich mir nach einigen Wochen ein Herz und rief die Schwiegereltern im Altersheim an. Sie fielen aus allen Wolken, als sie meine Stimme hörten.
»Gerti! Was hast du nur angerichtet! Der Leo sucht euch überall!«
»Ich würde euch gern besuchen und euch alles erklären!«
Zuerst hatte ich Mühe, ihr Vertrauen zurückzugewinnen. In der Version, die Leo ihnen erzählt hatte, war ich die Ehebrecherin, die Leo die Kinder weggenommen hatte. Ich hatte ihr Geld verjubelt, und mir war es zu verdanken, dass das Haus verpfändet war.
»Du musst sofort nach Afrika zurück und zu deinem Mann halten«, forderten mich die enttäuschten alten Leute auf. »Jetzt wo es politisch und wirtschaftlich schwierig wird, kannst du ihn doch nicht einfach im
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