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Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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heftiges Schluchzen nicht unterdrücken. Kindheitserinnerungen übermannten den armen Walter, und er schnäuzte sich trompetend in sein Stofftaschentuch. Neben dem Grab stand ein gerahmtes Foto der Verstorbenen, und ich warf ein Auge darauf.
    Oh, die sah ja aus wie ein Mann! Wie ein ziemlich alter, verschrobener Mann mit gezwirbeltem Schnauzbart, Jägerhut und Gamsbart!
    »Huch!«, entfuhr es Ursula. »Walter, bist du sicher, dass wir auf der richtigen Beerdigung sind?«
    »Ähm, jetzt nicht mehr«, sagte Walter und steckte das Taschentuch weg.
    »Wie peinlich«, sagte Ursula. »Was machen wir denn jetzt mit dem Kranz?«
    Unauffällig legten wir ihn zu den anderen Kränzen, auf denen stand: »Ein letzter Gruß unserem lieben Rudolf«.
    Gemeinsam mit dem milde lächelnden Pfarrer und den genervten Messdienern schritten wir dann zum Gasthaus, in dem es bereits hoch herging.
    »Hallo, Verwandtschaft aus Reutlingen mit der feschen Chauffeuse, setzt euch hierher!«
    Die Insassen des Opel Kapitän hatten uns drei Plätze freigehalten. Große schäumende Bierhumpen wurden bereits vor uns hingestellt.
    »Hier noch dreimal Schweinebraten?«
    »Ähm … ja, da sagen wir nicht Nein!«
    »Woher wisst ihr, dass wir aus Reutlingen kommen?«
    »Na, ich hab doch euer Nummernschild gesehen!«, freute sich der joviale ältere Herr, der vor uns hergefahren war. »In welcher Beziehung standet ihr denn zu meinem Bruder Rudi?«
    »Ähm … ich glaube, in keiner«, sagte ich scheu.
    »Na, dann erst mal prost!« Wir hoben unsere Humpen und tranken mit Rudis Bruder und seinen Schwestern, und nach einer Weile hatten wir den Irrtum aufgeklärt. Hilde war inzwischen längst ohne uns unter die Erde gekommen, in einem ganz anderen Dorf, das wahrscheinlich viele Kilometer weit weg lag.
    »Also mein Bruder Rudi war ja schon immer für Überraschungen gut!«, sagte der Opel Kapitän-Fahrer lachend, der Fritz hieß. Aber dass ich auf meine alten Tage noch zu einer so hübschen Verwandtschaft komme … « Seine Schwestern Martha, Agnes und Grete freuten sich auch. Sie hatten sich mit Walter und Ursula eine Menge zu erzählen. Sie hatten nämlich mal im Lotto gewonnen und eine Kreuzfahrt in der Ostsee gemacht.
    Wir blieben in der Wirtschaft hocken und hatten einen Riesenspaß. Rudi war kein Kind von Traurigkeit gewesen, wie unzählige Anekdoten bewiesen. Es wurden Reden gehalten, Witze erzählt und bis Mitternacht gesungen und geschunkelt. Das Bier floss in Strömen. Ich hätte keinen Meter mehr fahren können. Anschließend durften wir bei Rudis Verwandten übernachten, und am nächsten Tag versorgten sie uns noch mit Pfälzer Blutwurst und Saumagen für die Rückfahrt und versprachen, bald mal nach Reutlingen zu kommen.
    So hatten wir sogar noch neue Freunde gewonnen.
    Ja, die Schwiegereltern und ich hatten immer einen Riesenspaß und verstanden uns prächtig.
    Einmal besuchten wir auch meine Eltern in Glatten. Die Kinder fanden es wunderbar, sich auf dem kleinen Bauernhof nach Herzenslust schmutzig machen zu dürfen. Mir selbst kam mein Elternhaus erschreckend schäbig und schmucklos vor, ich schämte mich vor meinen Schwiegereltern. Mit leisem Schaudern half ich meiner Mutter beim Zubereiten einer Mahlzeit auf ihrem vorsintflutlichen Herd.
    Noch immer bereitete sie Knödel, indem sie die Kartoffeln mit einer Kurbel durch eine Reibe quetschte, die an der Tischplatte festgeschraubt war. Und noch immer hatte sie keinen Kühlschrank, sondern lagerte das Fleisch in der kalten Vorratskammer unter der Stiege, die einst mein Kinderzimmer gewesen war. Sie spülte das alte Geschirr noch in derselben angeschlagenen Schüssel, in der sie auch den Salat gewaschen hatte. Ein feiner Fettfilm lag auf den wackeligen Küchenstühlen und den schäbigen Resopalregalen, die nur mit Zeitungspapier überzogen waren. Das Plumpsklo gab es nach wie vor. Zwei fette Stallhasen hoppelten auf dem schmalen Rasenstück herum und hinterließen dort ihre Köttel. Das Schwein steckte seine Steckdosennase grunzend in die Küche und wurde von der Mutter mit dem Kochlöffel vertrieben. So wildromantisch dieses naturbelassene Anwesen für einen Wochenendausflug war: Ich brachte es beim besten Willen nicht fertig, mit den Schwiegereltern und den Kindern in dem trostlosen Dorf zu übernachten. Wir suchten uns ein behagliches Hotel mit vier Sternen in der nächstgrößeren Stadt. Es war Freudenstadt, wohin mich mein erster Ausflug mit dem Bus geführt hatte. Hierher hatte mich mein Vater

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