Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
damals in den Zirkus mitgenommen, und an dieser Bushaltestelle hatte diese Frau auf ihn gewartet! Ich schloss die Augen. An jenem Abend hatte ich meine letzte Tracht Prügel von meiner Mutter bezogen. Nun parkte ich meinen schicken Schlitten vor dem Hotel und warf dem Portier den Schlüssel hin. Der Portier sah mir bewundernd nach. Tja, und all das hatte ich Leo Wolf zu verdanken.
Der arbeitete inzwischen Tag und Nacht. Er beriet solvente Privatkunden auch noch nach Feierabend bei ihnen zu Hause. Längst war er Mitglied im Lionsclub und bei den Rotariern. Er saß in wichtigen Gremien und Ausschüssen und mischte in der Politik mit. Die wöchentlichen Versammlungen fanden im Hotel Harmonie statt, das mich vor ein paar Jahren als Kaltmamsell hatte verpflichten wollen. Was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich den Job angenommen hätte?, dachte ich oft leise lächelnd. Dann stünde ich jetzt mit Kellnerschürze hinter den Herrschaften und reichte ihnen ihre Kohlroulade.
Ein oder zwei Jahre später holte ich meine Eltern über die Weihnachtsfeiertage zu uns nach Hause. Schon auf der Autofahrt nach Reutlingen konnten sie sich gar nicht beruhigen über meinen schicken Wagen, meinen eleganten Fahrstil, die bequemen Ledersitze und das Autoradio. Nie werde ich die großen staunenden Augen meiner Mutter vergessen, als sie zum ersten Mal unsere Villa betrat. Mit ihrer schwarzen Kleidung, ihrem weißen Dutt und den flachen Schnürschuhen, die für sie schon etwas Besonderes waren.
»Gerti! Hier wohnst du also?«
»Mädel, du hast es wirklich zu was gebracht.« Der Vater blieb mitten in der Eingangshalle stehen, die mit Parkett ausgelegt war und in der ein weißer Flügel stand. Unsere Söhne hatten inzwischen Klavierstunden, die Privatlehrerin kam wöchentlich ins Haus.
»Kommt doch weiter ins Wohnzimmer!« Glühend vor Stolz führte ich meine Eltern in den Wohnbereich, in dessen Mitte unser nagelneuer riesiger Farbfernseher stand. Die Kinder lümmelten entspannt auf den Ledersofas herum und schauten einen Zeichentrickfilm. Hätte ich es als Kind jemals gewagt, herumzuliegen und nicht zur Begrüßung aufzuspringen, wäre ich von meinen Eltern mit dem Kleiderbügel verdroschen worden. Doch heute konnten sie nicht mehr eingreifen. Meine Kinder wurden nicht wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Sie durften ihre Kinderseelen baumeln lassen. In meinen eigenen vier Wänden herrschten Liebe und Geborgenheit. Das war meine Erziehung, und ich ließ mir da nicht reinreden. Mit einem kleinen triumphierenden Blick gab ich ihnen das zu verstehen: Mein Revier. Meine Spielregeln.
Die Eltern ließen den Blick über die maßangefertigte Bibliothek schweifen, über die in die Wand integrierte Bar und die schweren weichen Teppiche. Der reich geschmückte Tannenbaum mit den roten Kugeln und dem damals noch unverzichtbaren Lametta reichte bis zur Decke. Unter dem Baum stapelten sich bereits Berge von verpackten Geschenken, und die bescheidenen Kleinigkeiten, die meine Eltern fast beschämt dazulegten, drohten darunter zu verschwinden.
Ich bat meine Eltern in die schicke Einbauküche, die in Orangetönen gehalten war. Unserem riesigen Kühlschrank entnahm ich zur Begrüßung eine Flasche Champagner, aber das überforderte meine Eltern total.
»Hast du auch einfach ein Bier?«, fragte der Vater.
»Kindchen, zeig mir nur mal das Waschbecken«, bat die Mutter. »Ich würde mich gern etwas frisch machen.«
Während mein Vater mit seiner Bierflasche in der Hand wie hypnotisiert in den Fernseher starrte, brachte ich meine Mutter ins Bad. Sie prallte zurück und sah die ganze Pracht mit den Augen einer armen Bäuerin aus dem finstersten Schwarzwald: Plüschige rosafarbene Badezimmerteppiche lagen auf schwarzen Fliesen; über der Heizung hingen flauschige, vorgewärmte Badetücher. Eine geräumige Dusche wurde von beigefarbenen Marmorwänden begrenzt. Die Toilette war mit lustigen Aufklebern beklebt und roch aprilfrisch. Mutter klappte den Mund erst wieder zu, als sie sich selbst im riesigen beleuchteten Wandspiegel sah.
»Das gehört alles meiner kleinen Gerti?!«
»Ja, und meinen drei Männern natürlich. Leo hat allerdings inzwischen ein eigenes Bad. Er liest gern auf dem Klo. Wirtschaftsmagazine und so was, und seit Neuestem hat er dort eine eigene Telefonleitung für seine Geschäfte.« Ich kicherte verlegen und ließ meiner Mutter ein Bad ein.
Staunend sagte sie: »Dass du auf Knopfdruck ein warmes Zimmer hast und fließend warmes Wasser
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