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Gefangen in der Schreckenskammer

Gefangen in der Schreckenskammer

Titel: Gefangen in der Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Taschentücher. Manchmal nur
Herrensocken. Manchmal nur Taschentücher. Nichts anderes. Aber in welchen
Mengen! Könntest bald einen Laden damit eröffnen. Wo läßt du das Zeug
eigentlich? Kannst von Glück sagen, daß man dich noch nicht erwischt hast.
Sonst wäre es aus mit dir und deiner Beamtenlaufbahn.“
    Hartholz ächzte. Die Schweißperlen
sickerten jetzt vom Nacken in den Kragen.
    Mich tritt ein Dinosaurier! dachte Tim.
Da scheint ja jedes Wort zu stimmen. Der Untadelige geht sitzend k. o. — und
hat mich tatsächlich vergessen.
    „Jetzt hast du Schiß?“ ließ sich der Anrufer
wieder vernehmen. Offensichtlich Verstellte er die Stimme. Sie klang, als käme
sie aus einer ungeöffneten Konservendose.
    „Wer... wer...“, Hartholz konnte nur
stammeln.
    „Willst wissen, woher ich das alles
weiß? Nun, von deinem Psychologen, diesem Tickel, bei dem du
Nachhilfeunterricht nimmst, damit er dir deine Macken austreibt, verkorkster
Heini. Ja, von ihm weiß ich das. Aber nicht von ihm selbst. Der würde sich
hüten, der Psychosen-Qacksalber. Nein, ich weiß über dich Bescheid, weil ich in
Tickels Praxis eingebrochen bin. Heute abend... äh, ich meine, gestern: vorhin.
Ja, dort habe ich mir die Krankengeschichten vorgenommen und die Tonbänder.
Besonders interessant ist das Material über dich, wie du ja weißt. Nun kenne
ich dich von innen und von außen, Sockendieb.“
    Hartholz schluckte. Das klang, als
würden Nüsse geknackt.
    „Ich... Wenn... Sie... Aber Sie...“
    „Gib’s auf, Hartholz! Der Schreck
entzieht dir die Worte. Aber dieser Schreck war erst der Vorschreck. Der
Hauptschreck kommt jetzt. Nämlich: Wenn du nicht willst, daß ich die Wahrheit
über Dr. Hartwig Hartholz in Umlauf bringe und alle Welt dich als psychisch
beknackten Spinner erkennt — wenn du das nicht willst, wirst du mich bezahlen
müssen. Verstehst du? Ich bin ein Erpresser.“
    Der Studienrat atmete tief.
    „Ich... verfüge nur über mein Gehalt.“
    „Das kannst du vergessen. Ich will kein
Trinkgeld. Ich will, was niemand auf der Welt besitzt. Außer dir. Ich will das
Bild! Den Van Dyck! Den will ich! Den! Den gibst du mir — oder du bist blamiert
auf Lebenszeit. Kapiert? Wohin du das Gemälde bringen wirst — und wann das sage
ich dir noch. Mein nächster Anruf kommt bestimmt. Bis bald,
Langfinger-Hartholz! Hahaha!“

    Knacks! Die Verbindung wurde
unterbrochen. Der Erpresser hatte aufgelegt.
    Hartholz rührte sich nicht.
    Tim war zum Denkmal erstarrt.
    Mir schallern die Ohren, dachte er, und
mein Geist will’s nicht fassen. So also ist das. Kolossal! Der Einbrecher hat
sich Material angeeignet, und jetzt steigt er groß ein als Erpresser. Nur bei
Hartholz? Bestimmt nicht. Da sind sicherlich noch dickere Fische in Tickels
Kartei-Schrank. Wer mag das sein, der Erpresser? Woher weiß der, daß Hartholz
einen Van Dyk hat und... Natürlich! Jeder weiß das. Die Tageszeitung hat
neulich eine Serie gebracht: Gemäldesammler in unserer Stadt. Da war auch
Hartholz dabei.
    Tim hob einen Fuß. Kein Stoff durfte
rascheln. Lautlos wich er drei, vier Schritte zurück.
    „Ohhhhhh!“ stöhnte Hartholz. „Socken,
Taschentücher! Socken, Taschentücher! Ihr seid mein Verder…“
    „Herr Doktor!“ rief Tim. „Ist Ihnen
nicht gut?“
    Hartholz schnellte hoch, als zünde ein
Raketentreibsatz in seinem Hosenboden.
    „Was tust du hier?“ schrie er.
    „Aber, Sie haben mich doch...“
    „Ach so! Ja, ich weiß.“
    Sein Gesicht schwitzte aus allen Poren.
    Stiehlt Socken und Taschentücher,
dachte Tim. Es gibt Schlimmeres. Immerhin ist er sich seiner Kleptomanie bewußt.
Er will sich ändern und läßt sich deshalb von Tickel beratschlagen. Müßte ich
Hartholz bemitleiden? Ein bißchen. Für ihn wäre es seelisch der Genickschuß,
wenn Schüler und Kollegen erführen, wie seine Untadeligkeit hinter der Fassade
aussieht.
    Mit halb gesenktem Kopf schielte er Tim
an.
    „Das eben... äh... war eine... Bekannte
von mir. Anfangs... äh... habe ich ihre Stimme nicht erkannt.“
    Tim nickte, verzog keine Miene und
wirkte gelangweilt. „Du... äh... hast hoffentlich nicht gelauscht.“
    „Nein.“
    „Hast nicht zugehört?“
    „Nein.“
    „Hast kein Wort verstanden?“
    „Doch.“
    „Waaaaas?“ schrie er.
    „Was Sie sagten, habe ich natürlich
verstanden. Mir schien, die Dame hat sie häufig unterbrochen.“
    „Stimmt! Stimmt genau. Sie unterbricht
jeden. Sie würde sogar den Bundeskanzler unterbrechen. Hahaha!“
    Tim grinste

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