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Gefangen in der Schreckenskammer

Gefangen in der Schreckenskammer

Titel: Gefangen in der Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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oft. Man
sucht etwas, man weiß nicht, wo man suchen soll. Man gräbt aufs Geratewohl und
fördert allerlei anderes zu Tage. Den Erpresser, Tickel, Lambster — nur was
Gaby betrifft, sind wir keinen Schritt weiter. Sie wurde entführt. Davon bin
ich jetzt endgültig überzeugt. Ich nehme an und hoffe, daß sich der Täter heute
meldet. Ob Horror-Mönch oder was weiß ich...“
    „Die Pauker werden mich fragen, was mit
Gaby ist?“
    „Du weißt es nicht. Gestern war sie
noch gesund. Gib Karl und Willi entsprechenden Bescheid.“
    „Können wir nach der Schule zu Ihnen
kommen?“
    „Aber natürlich. Ich bin dann zu
Hause.“
    Niemals war der Unterricht langsamer vergangen.
Tim hätte aus der Haut fahren können. Zum erstenmal, soweit er sich erinnern
konnte, verzichtete er auf jegliche Aufmerksamkeit. Und wäre seine Zukunft
davon abhängig gewesen — er hätte keinen Funken Konzentration (innere
Sammlung) aufgebracht.
    Zum Frühstück hatte er keinen Bissen
genommen, aber eine ganze Kanne Tee getrunken.
    Bei Klößchen schlug Kummer nie auf den
Magen. Er konnte auch unter Tränen und gramgebeugt fünf Nougat-Semmeln
verschlingen. Aber was er an diesem Morgen in sich hineinstopfte, schien ihn
nicht zu interessieren. Er tat’s nur aus Gewohnheit. Beim späteren
Schoko-Verzehr blieb er sogar unter seinem üblichen Quantum (Menge).
    Der Vormittag zog sich hin.
    Tims Gereiztheit nahm zu.
    Sein Magen begann zu knurren.
    In der vorletzten Pause holte er sich
ein Glas warme Milch aus der Küche.
    Die Hauptköchin, die ihn sehr mochte,
sah ihn an.
    „Ist was mit dir? Du siehst regelrecht
finster aus, Tim. Hast du heute schon gelacht?“
    „Nein. Ich bin mit dem linken Fuß
zuerst aufgestanden.“
    „Vergiß es. Sei fröhlich! Du hast doch
allen Grund. Ein Schüler wie du! Ein Sportler mit dem Ruf! Und der
zuverlässigste Kämpfer gegen alle Ungerechtigkeiten. Außerdem hast du die
hübscheste und netteste Freundin. Nun lach mal!“
    Tim grinste sie an.
    Aber so hätte auch ein Hai gegrinst,
bevor er sich die Sardine schnappt.
    Die Köchin schüttelte ratlos den Kopf
und goß ihm ein zweites Glas Milch ein.
    Mit dem in der Hand verließ er die
Küche.
    Im Flur passierte es.
    Das Läuten, das die Pause beendete,
hallte noch zwischen den Wänden.
    Ach! dachte er. Trinke ich die Milch
eben während der Mathestunde.
    Schüler strömten in die Klassen zurück.
    Wo Tim ging, nämlich nahe der
Speisesaaltür, strömte niemand.
    Auf dem Handteller balancierte er das
Glas.
    In dem Moment wurde er hinterrücks
angerempelt — und zwar rüpelhaft wuchtig.
    Kliiiiir — zerbarst das Glas auf dem
Boden.
    Milch breitete sich aus, als wäre eine
Kuh mit undichtem Euter vorbeigelaufen.
    „Aus dem Weg! Paß doch auf, du Esel!“
    Obermeier, der Vertrauensschüler, schien
sich für eine Respektsperson zu halten. Sogar sein hämisches Grinsen gestattete
er sich. Dann flog es auseinander — etwa so wie das Glas.
    Es war die fürchterlichste Ohrfeige,
die der Typ jemals kassiert hatte.
    Er taumelte gegen die Wand. Seine Gesichtszüge
gerieten durcheinander.
    Das hätte ihm genügen müssen.
    Aber zu allem Unglück kicherten
Mädchenstimmen.
    Sie gehörten den beiden einzigen
Mädchen in Obermeiers Klasse. Carola Funke und Julia Plischkomanz waren hübsch
und begehrt.
    Sowohl um die Gunst der einen wie auch
der anderen hatte Obermeier gebuhlt, war aber abgeblitzt — weil man sein
ekliges Wesen wirklich meilenweit riechen konnte.
    Die beiden kamen aus der Damentoilette
und hatten den interessanten Teil der Szene miterlebt.
    Diese Blamage! Geohrfeigt von einem aus
der Mittelstufe!
    Tomatenrot färbte sich Obermeiers Kopf.
Daran war die Wut sicherlich mit 55 Prozent beteiligt, die Scham mit 45.
    Mit einem Kriegsschrei warf er sich auf
Tim.
    Was Wahnsinn war! Obermeier wußte, wen
er angriff. Aber die Mädchen beobachteten. Er konnte nicht zurück.
    Tim verzichtete auf harte Bandagen.
Trotz seiner Stinklaune ließ er Milde obwalten, beschädigte den
Vertrauensschüler nicht ernsthaft, sondern beförderte ihn in die Milchlache.
    Es patschte. Ein Steißbein wimmerte.
Obermeier saß und verbiß sich das Wimmern, während sich seine dunkelblauen
Edeljeans mit Kuhsaft anreicherten.
    Lachend entfernten sich die Mädchen.
    Carola rief: „Das kommt davon, wenn man
jemanden absichtlich anstößt. Immer höflich sein!“
    Obermeier starrte zu Tim herauf. Der
runde Bauernschädel war nicht mehr rot, sondern lila.
    Verblüfft blickte Tim in

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