Gefangen in Deutschland
wenn es sein muss. Außerdem machen die wenigsten Männer tatsächlich von diesem Recht Gebrauch«, warf Aysegül ein.
Wir redeten noch eine ganze Weile über die Stellung der Frau im Islam. Fatima und Aysegül erklärten mir, dass die Frau in ihrer Religion dem Mann eigentlich ebenbürtig sei und vergleichbare Rechte und Pflichten habe, aber dass die wenigsten Männer dies auch respektierten. Oftmals würden sie aus Unwissenheit oder auch, weil sie es der Bequemlichkeit halber nicht wahrhaben wollten, jahrhundertealte Traditionen mit den tatsächlichen Vorgaben des Korans verwechseln und ihre Frauen und Töchter behandeln wie Leibeigene. Mit dem Ergebnis, dass diese weder zur Schule gehen noch sich frei bewegen dürften und den familiären Weisungen gnadenlos ausgeliefert seien. Und selbst wenn aufgeklärte Eltern ihre Töchter nach modernen Prinzipien aufwachsen lassen wollten, hätten sie oft keine Chancen gegen die Macht der Umma, der sie umgebenden muslimischen Gemeinschaft, und müssten sich deren rückständigen Gesetzen beugen – wie man es ja an Fatimas Schicksal sehen könne.
Als Aysegül und ich am späten Nachmittag das Haus verließen, fühlte ich mich zutiefst deprimiert. Dass ich nicht die Einzige war, die in der Beziehung zu einem türkischen Mann fürchterliche Drangsalierungen und Misshandlungen erdulden musste, hatte ich ja schon geahnt. Und von meinen deutschen Freundinnen, die in vergleichbaren Verhältnissen lebten, letztlich bestätigt bekommen. Aber allmählich verfestigte sich in mir der Eindruck, dass es sich bei uns nur um die Spitze des Eisbergs handelte, um einige wenige Fälle, die mir zufällig persönlich bekannt waren. Wie mochte es unter der Oberfläche dieses dunklen Wassers aussehen, wie viele ähnliche oder gar schlimmere Frauenschicksale schlummerten dort unten in der Tiefe noch, gut versteckt vor den Blicken der anderen? Was passierte hier eigentlich wirklich im deutschen Friedens- und Fortschrittsstaat, von dem der Großteil der Bevölkerung nicht die leiseste Ahnung hatte? Vermutlich wollte es ja auch niemand so genau wissen, zu bequem war die Mär von der gelungenen Einwanderungspolitik! Und zu groß die Gefahr für die Betroffenen selbst, wenn sie versuchten, sich aus ihrer Unterdrückung zu befreien! Was sich hinter dem Wort »Ehrenmord« verbarg, davon hatte ich schließlich selbst schon eine deutliche Ahnung bekommen …
12. K APITEL
Aysegül oder »Leider nur ein Mädchen«
D ie täglichen Türkischstunden zeitigten langsam erste Erfolge. Nach mehreren Wochen strengen Unterrichts durch Aysegül war ich mittlerweile in der Lage, einfache Gespräche auf Türkisch zu führen. Mahmud war darüber sichtlich stolz und brachte mir eines Abends einen goldenen Ring als Belohnung für meine Bemühungen mit. Ich konnte nicht verhindern, dass ich mich insgeheim doch sehr über dieses Geschenk freute.
Leider sollte die Freude nur von kurzer Dauer sein, denn nur drei Tage später verlor ich den Ring wieder, durch meine eigene Schusseligkeit. Ich war zum Einkaufen unterwegs, als ich plötzlich dringend die nächstbeste Kundentoilette aufsuchen musste. Beim anschließenden Händewaschen zog ich den Ring aus und vergaß, ihn wieder von der Ablage zu nehmen und anzuziehen. Kaum hatte ich den Verlust bemerkt, ging ich sofort zu der Toilette zurück, aber der Ring war wie vom Erdboden verschluckt. Irgendjemand musste ihn an sich genommen haben. Verzweifelt überlegte ich, wie ich Mahmud diesen Verlust beichten könnte, ohne Gefahr zu laufen, gleich wieder einen neuen Streit vom Zaun zu brechen.
Natürlich bemerkte er am Abend sofort, dass mit mir etwas nicht stimmte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als Farbe zu bekennen und ihm den Grund für meine Niedergeschlagenheit zu gestehen. Wieder einmal überraschte mich Mahmud sehr – diesmal allerdings im positiven Sinne. Tröstend nahm er mich in den Arm und strich mir über den Kopf.
»Sei nicht traurig! So was kann passieren. Ich werde dir einen neuen und noch viel schöneren Ring kaufen«, versprach er mir.
Tatsächlich kam er schon am nächsten Tag nicht nur mit einem neuen Ring für mich nach Hause, sondern auch noch mit der passenden Halskette und Ohrringen dazu. Es war kaum zu glauben, dass es sich hierbei um denselben Mann handelte, der mich permanent mit Vorschriften überhäufte und auch nicht davor zurückscheute, ihre Einhaltung notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Mit seinen wechselhaften Verhaltensweisen schaffte er
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