Gefangen in Deutschland
bis die kleine Özlem endlich das Licht der Welt erblickte. Die ganze Zeit wich ich nicht von Aysegüls Seite und litt stumm mit ihr mit. Selbst als sie schon lange auf dem Stationszimmer lag und ihre kleine Tochter friedlich in einem fahrbaren Bettchen neben ihr schlummerte, saß ich noch bei ihr und hielt ihre Hand. Ich spürte mit jeder Faser meines Körpers, dass es Aysegül seelisch sehr schlecht ging. Wie sie mir Monate später gestehen sollte, hätte sie sich in diesen Stunden am liebsten das Leben genommen. Sie hatte eine unsagbare Furcht davor, als Mutter zu versagen. Hinzu kam, dass sie »nur« ein Mädchen auf die Welt gebracht hatte und genau wusste, welche Zukunft Özlem erwarten würde.
Es war bereits Mittag, als ich mich aus dem Krankenhaus auf den Heimweg machte. Da Aysegüls Eltern kein Telefon besaßen, beschloss ich spontan, dort vorbeizufahren und ihnen die Nachricht zu überbringen, dass sie Großeltern geworden waren. Wie erwartet, war die Freude verhalten, als sich herausstellte, dass Aysegül einem kleinen Mädchen das Leben geschenkt hatte. Einzig Handan weinte ein paar Freudentränen und hätte sich am liebsten sofort auf den Weg ins Krankenhaus gemacht. Ich versprach ihr, sie am Abend abzuholen und für einen kurzen Besuch zu ihrer Schwester mitzunehmen. Nachdem ich kurz mit ihrem Vater gesprochen hatte, erteilte er mir die Erlaubnis dazu.
Ich genoss mittlerweile das Vertrauen von Mahmuds Familie. Natürlich blieb ihnen nicht verborgen, dass ich mich all ihren Traditionen angepasst hatte, und so hatte ich mit der Zeit den Status der »Deutschen« verloren. Ich war längst eine von ihnen geworden. Die Tatsache, dass ich mittlerweile etwas Türkisch sprechen konnte, hatte ihr Übriges dazu beigetragen.
Nachdem ich noch einen Tee getrunken hatte, machte ich mich völlig übermüdet auf den Heimweg. Ich hatte ja fast die ganze Nacht nicht schlafen können und sämtliche emotionale Höhen und Tiefen erlebt, die eine Geburt so mit sich bringt. Zu Hause angekommen, hatte ich nur noch den Wunsch nach einer heißen Dusche und meinem Bett. Das Klingeln unseres Telefons hielt mich jedoch davon ab. Ich hatte kaum den Hörer abgenommen und meinen Namen gesagt, als mich auch schon Mahmuds unbeherrschte Stimme am anderen Ende der Leitung in Angst und Schrecken versetzte.
Er war völlig außer sich und wollte wissen, warum er mich erst jetzt zu Hause erreichen könne. Mit keinem Wort erkundigte er sich nach seiner Schwägerin, geschweige denn nach dem Baby. Ich versuchte mich zu rechtfertigen und ihm die Situation zu erklären, aber er ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. »Hure« und »Schlampe« waren noch die harmlosesten Beleidigungen, mit denen er mich bedachte. Ich hätte schreien können, so gedemütigt fühlte ich mich. Ohne weiter darüber nachzudenken, legte ich einfach den Hörer auf und zog die Telefonschnur aus der Buchse.
Nachdem ich mich kurz abgeduscht hatte, ließ ich mich endlich erleichtert in mein Bett fallen. Doch leider sollte die Ruhe nur von kurzer Dauer sein. Ich bekam gerade noch im Halbschlaf mit, wie die Schlafzimmertür aufgerissen wurde, als Mahmud auch schon in Drohposition vor mir stand.
»Steh sofort auf!«, brüllte er mich an. »Wie kommst du dazu, einfach den Hörer aufzulegen, wenn du mit mir telefonierst, du Schlampe?«
Schlagartig war ich hellwach. Sofort hielt ich mir schützend die Arme vors Gesicht. Er packte mich an den Haaren und zog mich aus dem Bett. Als ich zitternd vor ihm stand, spuckte er vor mir auf dem Boden aus.
»Wag es nie wieder, wenn ich mit dir rede, den Hörer aufzulegen! Ich breche dir alle Knochen!«
Plötzlich wurde mir die schreiende Ungerechtigkeit dieser Situation klar. Ich hatte mir die ganze Nacht im Krankenhaus um die Ohren geschlagen, um seiner Schwägerin bei ihrer ersten Geburt beizustehen, während sein Bruder gemütlich im Bett lag und schlief. Als Belohnung hatte ich nun einen riesigen Krach mit Mahmud am Hals und musste mich wieder einmal heftig beschimpfen lassen.
»Warum ist dein blöder Bruder denn nicht selbst mit seiner Frau ins Krankenhaus gefahren?«, schrie ich deshalb zurück.
Mahmud schien einen Moment mit der Fassung zu ringen. Kurz dachte ich darüber nach, dass es für mich wahrscheinlich am besten wäre, so schnell wie möglich ins Badezimmer zu flüchten, um mich dort so lange einzuschließen, bis sein Zorn sich wieder gelegt haben würde, aber da war es auch schon zu spät: Mit voller Wucht traf mich
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