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Gefangen

Gefangen

Titel: Gefangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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Schlotflammen bewegt sich nichts.
    „Malerische Gegend hier“, sage ich.
    „Ja kla r – wie der Name schon sagt.“ Ryan grinst freudlos. „Das Paradies auf Erden.“
    Auf der Fahrt gibt er mir ein paar Hintergrundinfos über Paradise, Port Marie und Little Falls. „Paradise war ein armer Fischerort, bis die Fischerei Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts einging. Dann kamen Leute wie meine Eltern hierher und werteten den Ort auf. Hier hast du ‚Meerblick‘ und ‚Lifestyle‘ ohne die üblichen horrenden Preise und es sind nur eineinhalb Stunden bis in die Stadt. Den Alteingesessenen sind die Zuzügler natürlich ein Dorn im Auge. Wir also vermutlich auch. Port Marie war immer die vornehmere große Schwester von Paradis e – mit besseren Grundstücken, dem schöneren Meerblick und weniger Umweltdreck. Nur Little Falls fällt aus dem Rahmen. Es liegt im Landesinneren, und die einzige Attraktion sind ein paar Wasserfälle, für die sich aber kein Mensch interessiert.“
    Der Himmel ist bedeckt, alles grau in grau. Bevor wir das unvermeidliche Ortsschild mit der Aufschrift: „Willkommen in Port Marie“ erreichen, biegen wir in eine ungeteerte Straße mit tiefen Rillen und Schlaglöchern voll Kies und Schlammwasser ein.
    „Gruselig, was? Fast wie in Deliverance“, murmelt Ryan beklommen.
    Ich habe keine Ahnung, was er meint, also sage ich nichts, sondern umklammere den Türgriff auf meiner Seite noch fester, damit es nicht so aussieht, als würde ich mich ihm vor lauter Angst gleich an den Hals werfen.
    Kurze Zeit später halten wir mit knirschenden Reifen vor einem frei stehenden, zweistöckigen Strandhaus aus Fibrolith an. Schön war es vermutlich nie, aber jetzt beleidigt es das Auge. Die Wände sind teilweise pfirsichfarben überstrichen, der Rest is t … na j a … fibrolithgrau mit einem flachen Blechdach und trostlosen Spitzenvorhängen an den Fenstern. Der Vorgarten ist ein einziger Schrottplatz, übersät von langsam vor sich hin rostenden Maschinenteilen. Ein umgekipptes Blechboot und drei Außenbordmotoren liegen herum.
    „Richard macht Extrem-Biking“, erklärt Ryan, der erst die Fahrertür öffnet und dann meine. „Lebt bei seinem alten Herrn; die Mutter ist schon vor Jahren abgehauen, deshalb sieht alles so verlottert aus. Ordnung halten ist nicht die Stärke der beiden.“
    Der Kontrast zu Laurens Heim könnte nicht größer sein. „Stimmt“, sage ich. „Blütenweiß und sauber ist auf diesem Schrottplatz nichts.“
    „Du sagst es“, murmelt er niedergeschlagen. „Du kannst ruhig aussteigen, hier gibt’s keine Hunde. Jedenfalls keine aus Fleisch und Blut.“
    Nach dieser kryptischen Bemerkung gehen wir zusammen die kiesbestreute Einfahrt hinauf.
    „Er hat letztes Jahr die Schule abgebrochen, mitten im Halbjahr“, brummt Ryan, während er auf die Klingel drückt. „Jetzt fährt er nur noch Motocross und macht hin und wieder bei Ausstellungen oder Freestyle-Stunts mit.“
    Ich runzle die Stirn und er erklärt geduldig: „Na, du weißt schon: Arena-Rennen, Flug-Stunt s – so richtig halsbrecherisches Zeug, bei dem du dir vor Angst in die Hosen machst. Als Lauren verschwunden ist, hatte er noch weniger Grund, irgendwas anderes zu machen, als hin und wieder auf den Parcours zu gehen. Muss ziemlich gefragt sein, der Typ.“ Ryan drückt wieder auf die Klingel. „Er ist ein Freak. Ich weiß nicht, wie er so leben kann.“
    „Vielleicht sagt er ja dasselbe von dir“, murmle ich.
    Die Tür geht auf und ein sehr verschwitzter alter Mann mit einem riesigen Bart späht heraus. Sein Hemd ist offen, große Schweißflecken zeichnen sich unter den Achseln ab. Er trägt Shorts von undefinierbarer Farbe und die Beine sind viel zu behaart, jedenfalls für meinen Geschmack. Sein nackter, haariger Bierbauch nimmt den ganzen Raum zwischen uns ein.
    „Brauch nichts. Haut ab, und zwar ein bisschen plötzlich, sonst lass ich die Hunde auf euch los!“
    Ryan wirft mir einen Blick zu, als wollte er sagen: „Siehste?“
    Und jetzt ist mir klar, was er mit seiner Bemerkung vorhin gemeint hat: Hier können keine Hunde sein, denn der Wind würde meinen Geruch unweigerlich ins Haus tragen, und dann wäre die Hölle los. Es ist aber nichts zu hören außer dem leisen Ticken einer Uhr irgendwo im Flur. Falls hier jemals Hunde waren, sind sie längst verrottet, so wie die Maschinen im Vorgarten, und nur die Lüge hat sie überlebt.
    „Wir wollen Richard besuchen“, sagt Ryan freundlich in den Bierdunst

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